Neue Analyse: Armutsrisiko »alleinerziehend«

Eine aktuelle Auswertung zeigt, welche Familienformen am häufigsten von Armut bedroht sind

  • Ruta Dreyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Etwa ein Viertel aller alleinerziehenden Personen gilt als armutsgefährdet.
Etwa ein Viertel aller alleinerziehenden Personen gilt als armutsgefährdet.

Nicht mit auf Klassenfahrt fahren können, kein Geld für neue Schuhe oder im Supermarkt nur das günstigste Essen kaufen: Finanzielle Einschränkungen der Eltern einer Familie haben tragende Auswirkungen auf die Kinder, nicht zuletzt auf ihre Gesundheit und Bildung. Nach dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist derzeit mindestens jedes siebte Kind in Deutschland von Armut bedroht.

Entscheidend sei dabei vor allem, in welcher Familienform sie aufwachsen, stellt eine neue Analyse des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) fest. Umgekehrt meint Pauline Kleinschlömer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am BiB und Mitautorin der Analyse: »Kinder stellen nicht grundsätzlich ein Armutsrisiko dar.« Überdurchschnittlich häufig armutsgefährdet seien Alleinerziehende und Haushalte mit drei oder mehr Kindern.

Die Analyse basiert auf den aktuellsten Informationen des familiendemografischen Panels Freda aus dem Jahr 2023. Im Zuge dieser Studie sammelten Wissenschaftler*innen Daten einer repräsentativen Stichprobe der in Deutschland lebenden Bevölkerung im Alter zwischen 20 und 52 Jahren. Dabei unterscheiden die Forschenden zwischen subjektiven und objektiven Faktoren.

»Es ist wichtig, Armut aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten«, meint Jan Brülle, der ebenfalls als wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem Bericht beteiligt war. Der Fokus der Analyse lag auf der subjektiven Wahrnehmung der Betroffenheit. Objektiv festgestellte Armut bedeute nicht zwangsläufig, dass Personen sich auch als arm wahrnehmen oder sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. »Wir wissen aus der Forschung, dass die subjektive Armut sich psychologisch auf die Betroffenen auswirken kann«, meint Brülle. Laut dem BiB habe sie spürbare Effekte darauf, wie die Familie den Alltag bewältigt und empfindet.

Die Untersuchungen zeigen deutlich: Die am stärksten armutsgefährdete Gruppe ist die der Alleinerziehenden. Ungefähr ein Viertel von ihnen gilt als armutsgefährdet. Etwa ein gleich großer Anteil von ihnen nimmt sich auch subjektiv als arm wahr. An zweiter Stelle folgen Paare mit drei oder mehr Kindern. Ungefähr 18 Prozent von ihnen gelten als arm. Mit circa 16 Prozent etwas weniger schätzen dies auch selbst so ein.

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Ein großer Abstand dieser Gruppen besteht zu den Paarhaushalten mit ein oder zwei Kindern sowie den kinderlosen Personen. Erstere gelten zu 8 Prozent als arm (rund 11 Prozent subjektiv), letztere zu 10 Prozent (objektiv und subjektiv). Das zeigt: Wer alleine ein Kind aufzieht – oder aber viele –, für den ist das Risiko nach dieser Armutsdefinition am größten.

»Das Konzept der elterlichen Selbstwirksamkeit ist unsere Idee, zu schauen, wie sich wahrgenommene Armut tatsächlich auswirkt«, erklärt Brülle. Damit ist das Gefühl gemeint, der Elternrolle und den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden. Insgesamt konnten die Autor*innen feststellen, dass subjektive Armut mit niedriger elterlicher Selbstwirksamkeit einhergeht.

Auch hier zeigte sich der am stärksten ausgeprägte Zusammenhang bei den Alleinerziehenden: Nur 6 Prozent der Alleinerziehenden, die sich selbst nicht als arm einschätzen, haben das Gefühl, ihren Kindern nicht gerecht zu werden. Bei den Alleinerziehenden, die sich als arm wahrnehmen, sind es schon 17 Prozent. Der Zusammenhang zeigte sich auch unter Kontrolle weiterer Merkmale wie Bildung und Alter.

Armut lässt sich nicht nur am Kontostand messen.

Armut lässt sich also nicht nur am Kontostand messen. Es sind die Wünsche von Kindern – vielleicht ein anderes Land zu bereisen, ein Instrument zu spielen oder ein Kleidungsstück zu kaufen, ohne sich Gedanken machen zu müssen –, die diese widerspiegeln. Und es ist der Wunsch der Eltern, diese zu erfüllen.

Ein Kontrast sticht besonders ins Auge: Während Alleinerziehende und ihre Kinder am stärksten von Armut gefährdet sind, arbeiten alleinerziehende Frauen gleichzeitig am häufigsten in Vollzeit – im Vergleich zu den anderen Familienformen mit Kindern. Das überrascht, wenn man davon ausgeht, dass alleinerziehende Frauen weniger Zeit zum Arbeiten haben könnten, da sie sich um die Betreuung kümmern müssen.

Personen, die nicht erwerbstätig sind, sind deutlich häufiger armutsgefährdet als Erwerbstätige. Besonders betroffen sind nicht erwerbstätige Alleinerziehende, die zu 72 Prozent armutsgefährdet sind. Bei einer Vollzeitbeschäftigung sinkt dieser Anteil auf 14 Prozent.

Aus der Analyse leiten die Autor*innen Handlungsempfehlungen ab. »Es gibt verschiedene Stellschrauben, an denen die Politik drehen kann«, meint Brülle. Die Autor*innen schlagen zwei zentrale politische Maßnahmen vor: Einerseits brauche es sichere und flexible Möglichkeiten der Kindertagesbetreuung. Denn nur dann könnten die Eltern (in Vollzeit) arbeiten gehen. Frühere Analysen des BiB ergaben, dass etwa 33 Prozent der armutsgefährdeten Familien und 27 Prozent der Alleinerziehenden keinen Betreuungsplatz finden.

Andererseits müsse der Staat mit Transferleistungen unterstützen – Erwerbstätigkeit alleine schütze nicht ausreichend vor Armut. Laut Brülle sei es aber auch wichtig, dass die Maßnahmen bei jenen ankommen, die Unterstützung brauchten: Viele Leistungen würden bisher nut teilweise in Anspruch genommen.

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