Knapp die Hälfte der Deutschen kann mit Algorithmen nichts anfangen

73 Prozent sind für ein Verbot von vollautomatisierten Entscheidungen durch Software

  • Lesedauer: 3 Min.

Gütersloh. Fast die Hälfte der Deutschen kann mit dem Begriff Algorithmus nichts anfangen. Das ist das Ergebnis einer von der Bertelsmann-Stiftung am Mittwoch in Gütersloh vorgestellten Studie. Zwar haben demnach drei Viertel der Befragten das Wort schon einmal gehört, aber nur jeder Zehnte kann erklären, wie Algorithmen funktionieren. Fast die Hälfte weiß, dass im Internet mit der Hilfe von den mathematischen Formeln zum Beispiel bei Facebook, Google und Twitter auf den einzelnen passgenau zugeschnittene Werbung eingeblendet wird. Dass aber Algorithmen auch bei Bewerbungen oder Krankheitsdiagnosen eingesetzt werden, weiß nur etwa ein Drittel der Deutschen.

Der Begriff Algorithmus beschreibt eine Reihe von Anweisungen, die Schritt für Schritt ausgeführt werden, um ein Problem zu lösen oder eine Aufgabe zu bewältigen. Bei einer Suchmaschine beispielsweise bestimmt der Algorithmus, welche Webseite in den Suchergebnissen auf welcher Position angezeigt wird.

Über die Transparenz der Algorithmen wird seit geraumer Zeit auch politisch diskutiert. So hat sich die schwarz-rote Bundesregierung im Koalitionsvertrag darauf verpflichtet, zum Schutz der Verbraucher Algorithmen-basierte Entscheidungen, Dienstleistungen und Produkte überprüfbar zu machen, »insbesondere im Hinblick auf mögliche unzulässige Diskriminierungen, Benachteiligungen und Betrügereien«.

Fehlendes Wissen

Ob Algorithmen gut oder schlecht sind - dazu haben laut der Bertelsmann-Studie 46 Prozent der Deutschen keine Meinung. Allerdings empfindet eine Mehrheit ein großes Unbehagen, wenn Maschinen losgelöst vom Menschen über Dinge entscheiden sollen. 73 Prozent der Befragten fordern ein Verbot von sogenannten vollautomatisierten Entscheidungen, die ohne menschliche Beteiligung getroffen werden.

»Algorithmen bestimmen zunehmend über unser Leben. In Deutschland fehlt es an grundsätzlichem Wissen über den digitalen Wandel. Wir müssen dringend lernen, die Chancen und Risiken von Algorithmen richtig abzuwägen«, sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, zum Studienergebnis.

Die Stiftung weist in der Untersuchung daraufhin, dass Fehler von Algorithmen nicht einzelne treffen, sondern eine Vielzahl von Menschen. Als Beispiel nennen die Autoren reproduzierte Benachteiligungen und das Verstärken von sozialen Ungleichheiten. So wurden bei Google Stellenanzeigen für Führungspositionen nur Männern, aber nicht Frauen angezeigt, oder Bewerber wurden wegen ihres Wohnortes oder einer psychischen Krankheit aussortiert.

Zuviel Macht für Programmierer?

Nach Angaben der Studienautoren befürchten viele der Befragten, dass Programmierer zu viel Macht über das Leben von Menschen erhalten und mit Algorithmen manipulieren. Es bestehe unabhängig vom Bildungsniveau oder Einkommen der Wunsch nach einer engmaschigeren Kontrolle. Unterm Strich denken demnach nur 13 Prozent der Menschen in Deutschland, dass Algorithmen gerechtere Entscheidungen treffen als Menschen.

Mitte März war aufgeflogen, dass die Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica sich unerlaubt Zugang zu Daten von mehr als 50 Millionen Facebook-Nutzern verschaffen konnte. Die mittlerweile insolvente Firma soll im US-Wahlkampf entscheidend dabei geholfen haben, mit als Werbung geschalteten gezielten Botschaften bei Facebook Anhänger des heutigen Präsidenten Donald Trump zu mobilisieren und zugleich potenzielle Wähler der Gegenkandidatin Hillary Clinton vom Urnengang abzubringen.

Bei der repräsentativen Umfrage für die aktuelle Bertelsmann-Studie spielte dieser Skandal noch keine Rolle. Die Menschen waren im Januar interviewt worden. Die Skepsis der Deutschen wird in Brüssel geteilt. Die EU-Kommission kündigte im April an, darüber nachzudenken, Algorithmen als die wichtigsten Instrumente der Internetplattformen zu regulieren. dpa/nd

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal