Werbung

Ziegenkäserei in Hessen: »Ich besetze eine Nische«

Claudia Smolka über ihre Ziegenkäserei und die Folgen des Höfesterbens

  • Interview: Ingrid Wenzl
  • Lesedauer: 6 Min.
Claudia Smolka – Ziegenkäserei in Hessen: »Ich besetze eine Nische«

2010 haben Sie hier in Hessen Ihren Betrieb gestartet. Damals bekamen Sie vom Gießener Wochenmarkt die Zusage, dort Käse verkaufen zu dürfen.

Mein Partner und ich haben damals eine kleine Käserei in das Haus gebaut, das wir gemietet hatten, und mit sieben Ziegen angefangen. Am Anfang kam uns alles so zugeflogen. Die Leute haben gesehen, dass wir das machen, und da kam einer zu uns und sagte: »Ich habe noch eine Wiese.« Es kam ganz von alleine ins Rollen.

Was sind heute Ihre Herausforderungen, oder rollt alles immer noch von alleine?

Nein. Damals waren wir ja noch jung und sehr im Hier und Jetzt. Als dann die Besitzerin des von uns gepachteten Hofes Eigenbedarf anmeldete, wurde mir zum ersten Mal klar, wie wichtig langfristige Planung und Vermögen in der Landwirtschaft sind! Als Existenzgründer konnten wir ja nicht darauf zurückgreifen, was Generationen schon für uns vorbereitet haben.

Interview

Claudia Smolka (43) ist Agrar­wissen­schaft­lerin und betreibt seit 15 Jahren mit ihrem Partner in Seel­bach (Hessen) einen Bio­land-Ziegen­hof mit rund 50 Milch­ziegen, Rot­vieh, Schweinen, 13 Hektar Grün­land, 10 Hektar Natur­schutz­flächen und 15 Hektar Acker. Sie stellt hand­werk­lich Roh­milch-Ziegen­käse her und ist Vor­stands­vor­sit­zende der Arbeits­gemein­schaft bäuer­liche Land­wirt­schaft (AbL) Hessen.

Sie haben immer noch keinen eigenen Hof.

Kann ja noch werden! Aber es gibt recht sichere Pflegeverträge mit der Gemeinde für ein Naturschutzgebiet. Mit der BioBoden Genossenschaft haben wir Land gekauft, sodass der Boden für die nächsten 30 Jahre gesichert ist. Außerdem verkaufen wir alles über die Direktvermarktung – das gibt Stabilität, weil viele Menschen das Ganze tragen.

Ihr Käse hat schon mehrere Preise gewonnen. Was ist Ihr Geheimnis?

Ich besetze eine Nische und pflege ein ursprüngliches Handwerk. Gelernt habe ich das auf einem kleinen Bergbauernhof in Österreich, wo noch per Hand gemolken wird. Der Käsemacher dort arbeitet ganz einfach und traditionell. Im Feinkostladen in Salzburg wird sein Käse für ein horrendes Geld verkauft. Da habe ich gemerkt, wie groß die Sehnsucht bei vielen Menschen nach ursprünglichen Erzeugnissen ist. In den Supermärkten kriegst du zwar alles, aber überall sind es die gleichen Sachen: quadratisch, praktisch, langweilig, gut. Aber es geht ja auch darum, eine Geschmacksvielfalt zu erhalten, ein besonderes, einzigartiges Produkt zu haben.

Sie machen Frischkäse mit Kräutern und verschiedenen Gewürzen.

Das habe ich auf einem Hof im Allgäu gelernt. Er wird im Tuch verschöpft, dann geformt und ins Glas gefüllt. Das ist ein Käse, den ganz viele mögen. Man kann ihn aber auch wie in Frankreich mit der Suppenkelle in Förmchen geben und reifen lassen, bis sich ein Naturschimmel bildet. Die Vielfalt entsteht durch das Reifestadium und die Kräuter. Ich verarbeite die melkwarme Milch direkt zu Rohmilchkäse. Kulturen setze ich nur einmal an und ziehe sie dann mit der Molke weiter. Das ist ein Handwerk, das kaum noch jemand macht.

Warum nicht?

Vor allem die, die große Chargen verarbeiten, können sich das nicht erlauben. Wenn das schiefgeht, dann ist gleich ganz viel Geld weg! Bei mir sind die Mengen so klein, da kann ich experimentieren. Gerade dieser Rohmilchcharakter macht den Unterschied.

Sie sind auch Vorstandsvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) Hessen. Was ist Ihnen da besonders wichtig?

Ich wollte den Austausch mit anderen Bauern und Bäuerinnen. Wir sind ein sehr enges Netzwerk und unterstützen uns viel gegenseitig. Die AbL ist die politische Interessenvertretung der bäuerlichen Landwirtschaft. Darum sitzen wir in fast allen Fachausschüssen im Ministerium. Wir sind eine kleine, kritische Masse, und weil wir so aktiv sind und sehr gut an den Themen arbeiten, haben wir eine große Wirkung.

Der Strukturwandel in der Landwirtschaft geht mit dem sogenannten Höfesterben einher. Was brauchen kleinere Betriebe, um zu überleben?

Es braucht da einen Systemwechsel. Die Marktmacht der vier großen Konzerne – Edeka, Rewe, Aldi, Lidl – sorgt dafür, dass die Wertschöpfung nicht bei den Bauern ankommt. Andere Länder regulieren das stärker. Es gibt viele Betriebe, die zeigen, dass es auch andere Wege gibt, indem sie eine Nische besetzen und über Regionalität und Vielfalt Unabhängigkeit erreichen. Aber das allein reicht nicht. Es braucht trotzdem den politischen Hebel, das ist ganz wichtig!

Was bedeutet es, wenn Höfe verschwinden, und was passiert mit den Flächen?

Bei einer Podiumsdiskussion wurde ich mal gefragt, ob das nicht eine Chance für uns wäre, wenn jetzt durch das Höfesterben so viel Fläche frei werde. Aber so einfach ist das nicht. Inzwischen haben manche Dörfer gar keine Bauern mehr, und die großen, die die Fläche schlucken, werden immer größer. Das ist das nächste Problem: Wenn jemand neu anfangen will, kriegt er da gar keinen Fuß rein. Das andere ist, wenn ein sehr großer Betrieb einen Nachfolger sucht. Die Schaffung eines landwirtschaftlichen Arbeitsplatzes verursacht inzwischen Kosten in Höhe von rund 850 000 Euro.

Wie kommt es zu dieser hohen Summe?

Du brauchst die Ressourcen, um überhaupt Landwirtschaft zu betreiben. Du brauchst eine Hofstelle, Maschinen, Tierbestand, und das wirst du wahrscheinlich jemandem, der aufhört, abkaufen müssen. Der muss ja auch von irgendwas seine Rente bezahlen.

Boden entwickelt sich auch hierzulande immer stärker zum Spekulationsobjekt. Vor zwei Jahren hat ein australischer Investor die Deutsche Agrar Holding mit 20 000 Hektar Agrarland gekauft. Wie ist so etwas möglich?

Die Bundesrepublik hätte da eingreifen müssen, hat es aber nicht getan. Das ist eigentlich ein Riesenskandal! Wenn der landwirtschaftliche Betrieb Teil einer Firma ist, kannst du einfach die Firma übernehmen, dann wird das Grundstücksverkehrsgesetz ausgehebelt.

Was bedeutet das für die Betriebe vor Ort?

Wir sind ja hier noch in einer ganz guten Lage im Vergleich zu anderen Bundesländern. Bei uns sind die Grundstückspreise noch relativ günstig. Aber das Problem ist etwas vielschichtiger: Da ist einerseits der Konkurrenzdruck unter den Landwirten. Sie denken, sie müssen immer weiterwachsen, um mithalten zu können. Dafür sind sie bereit, Preise zu zahlen, die mit der landwirtschaftlichen Erzeugung gar nicht zu decken sind. Und natürlich treibt es die Preise nach oben, wenn auch Leute das Land kaufen wollen, die keine Landwirtschaft betreiben.

Was muss Ihrer Meinung nach geschehen?

Wir brauchen dringend starke Agrarstrukturgesetze in den Bundesländern, denn die gibt es nicht. Die sollen regeln, dass keine ungünstige Landkonzentration stattfindet, sondern das Eigentum breit gestreut ist. Im Moment gibt es das Grundstücksverkehrsgesetz, aber das ist im Grunde genommen ein zahnloser Tiger.

Es sollten also Obergrenzen festgelegt werden, ab welcher Größe ein Betrieb nicht mehr Land kaufen darf?

Ja. Und es soll im Gesetz geregelt werden, wer kaufen darf, nämlich nur landwirtschaftliche Betriebe. Man könnte auch gesetzlich festlegen, dass bestimmte Gruppen bevorzugt werden, wie Existenzgründer. Die hessischen Grünen haben da gerade einen interessanten Gesetzesentwurf vorgelegt! Auf einer niedrigschwelligeren Ebene könnte man das Land, das sowieso schon in der Hand der Kommunen oder Kirchen ist, transparent und fair verpachten, nach gemeinwohlorientierten Kriterien.

Ihr älterer Sohn überlegt, auch Landwirt zu werden und später vielleicht einmal den Hof zu übernehmen. Das ist doch eine schöne Perspektive!

Auf jeden Fall. Ich finde es toll, wie bewusst er sich damit beschäftigt: Bodenleben, Humusaufbau, das sind gerade große Themen bei den jungen Leuten. Und er überlegt, welche besonderen Kulturen man anbauen könnte, wie Linsen oder Kichererbsen.

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -