»Besonders problematische« Karikatur

Für Micha Brumlik ist die von Dieter Hanitzsch angefertigte Zeichnung ein Fall von israelbezogenem Antisemitismus

  • Micha Brumlik
  • Lesedauer: 3 Min.

Walter Benjamin, der sich 1940 auf der Flucht vor den Nationalsozialisten in den Pyrenäen das Leben nahm, war ein Bewunderer von Eduard Fuchs. Fuchs, auch er in den 1930er Jahren Emigrant, wurde 1870 in Göppingen geboren und starb im Januar 1940, vor dem Einmarsch der Wehrmacht in Paris. Ihm verdanken wir eine Kulturgeschichte der Karikatur, die er über Jahre hinweg in unterschiedlichen Büchern darlegte, so 1921 im Band »Die Juden in der Karikatur«.

Das dort vorgelegte Material – vom Hohn auf die Rothschilds über die Verächtlichmachung der Beschneidung in der österreichischen Satirezeitschrift »Kikeriki« bis zu antisemitischen Plakaten aus dem Zarenreich – zeigt jüdische Männer immer wieder als Menschen mit übergroßen Ohren und deutlich hervorstechenden Hakennasen. Nun ist die Karikatur – nicht anders als die antike Komödie – eine menschenfeindliche Kunstform, der es immer um die Lächerlichmachung des angemaßt Erhabenen geht und somit einem emanzipatorischen Ziel dient.

Nun ist nicht zu bestreiten, dass der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sich den Sieg Netta Barzilais beim Eurovision Song Contest (ESC) durch gemeinsame Auftritte vor den Kameras politisch zu Nutze gemacht hat. Indes: Warum ist im Schriftzug »Eurovision« auf der Karikatur dort, wo sonst ein »v« stehen sollte, ein Davidstern zu sehen? Ist der Eurovision Contest am Ende eine jüdische Angelegenheit? Zudem: Stellen israelische – jüdische? – Raketen derzeit ein sicherheitspolitisches Thema dar? Erinnert dieses Element der Karikatur nicht an jenes fatale, ebenfalls in der »Süddeutschen Zeitung« publizierte Gedicht, das Günter Grass 2012 in den Verdacht brachte, Antisemit zu sein? Dort phantasierte der Literaturnobelpreisträger von einer israelischen Bombe, die das iranische Volk auslöschen könnte – obwohl es doch wieder und wieder die iranische Führung war und ist, die von einer Auslöschung Israels spricht.

Im Interview mit dem »Göttinger Tagblatt« sagte der Zeichner Dieter Hanitzsch: »Die Rakete war, wenn man so will, ein Symbol für den Siegerpokal. Sie befindet sich in der Hand von Netanjahu, weil er in letzter Zeit gegenüber dem Iran sehr heftig damit rasselt.« Nun ist es in einer liberalen Demokratie allemal zulässig, religiöse Gefühle zu verletzen, dennoch ist es unglücklich, eine wesentliche Formel des Judentums – den messianischen Wunsch »Nächstes Jahr in Jerusalem« mit einem bombenbewaffneten, als typisch jüdisch gekennzeichneten Unsympathen in Verbindung zu bringen. Dabei ist gar nicht zu bestreiten, dass Teile der israelischen Rechten dieses Fest fundamentalistisch missbrauchen. Zur Sprechblase der Karikatur sagte Hanitzsch: »Gleich nach der Veranstaltung hat er (Netanjahu, M.B.) seine Glückwünsche geäußert und angekündigt: ‘Das nächste Mal in Jerusalem.’ Das empfinde ich«, so Hanitzsch weiter, »als problematisch, weil es gerade im Moment dort besonders brodelt und es muss wirklich nicht sein, genau jetzt mithilfe des ESC noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.«

Was genau empfindet der Zeichner als »besonders problematisch«? Dass Netanjahu sachgemäß mitteilte, dass der ESC das nächste Mal in Jerusalem stattfinden wird? Warum dichtete Hanitzsch des Premiers treffende Äußerung in einen anders lautenden religiösen Wunsch um? Schließlich: Warum trägt der karikierte Netanjahu eigentlich Stiefel? Soweit zu erkennen, trug Netta Barzilai keine Stiefel, sondern Sneakers, während Netanjahu in den Bildmedien stets in schwarzen Halbschuhen zu sehen ist.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Karikatur, die zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses von Dieter Hanitzsch mit der Zeitung führte, ist ein bildlicher Fall von israelbezogenem Antisemitismus. Daher sei ihm noch einmal die Lektüre des Buches von Eduard Fuchs »Die Juden in der Karikatur« empfohlen.

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