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- Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt
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Rund 10.000 Geflüchtete haben einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz gefunden
Für den Chef der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur Berlin-Brandenburg, Bernd Becking, ist es ein »bemerkenswerter Erfolg«. 10.000 Menschen, die in den letzten Jahren nach Berlin geflüchtet sind, gehen heute einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Das zeige, dass viele Geflüchtete hoch motiviert sind und sich hier mit eigener Arbeit ein neues Leben aufbauen wollen. Es belege aber auch, dass das Zusammenspiel von Landespolitik, Jobcentern, der Ausländerbehörde und der Wirtschaft in Berlin funktioniere, und zwar besser als es in vielen anderen Bundesländern der Fall ist.
Weitere Fakten zum Thema: 18.000 geflüchtete Berliner besuchen derzeit Sprach- und Qualifizierungskurse. 3.000 gehen einer geringfügigen Beschäftigung nach und 10.000 Geflüchtete im erwerbsfähigen Alter sind arbeitssuchend.
Am stärksten profitieren von der Arbeitskraft der geflüchteten Menschen das Gastgewerbe (18 Prozent) sowie die Dienstleistungsbranche (17 Prozent). Regionaldirektionschef Bernd Becking: »Die Geflüchteten allein werden nicht den Fachkräftebedarf abdecken, den wir in Berlin haben. Aber sie leisten einen wichtigen Beitrag.«
Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linkspartei) stellte der Presse am Montag Förderprogramme vor, die das Land Berlin aufgelegt hatte, um Flüchtlinge in Arbeit und Ausbildung zu bringen. So werden besonders qualifizierte Neuankömmlinge bereits bei der Ankunft erfasst und besonders gefördert. Betriebe, die einen Geflüchteten ausbilden, erhalten vom Land eine Förderung, weil die Ausbildung oft hohe Anforderungen an den Betrieb stelle. »Die Auszubildenden werden in den Berufsschulen in einer Weise mit der deutschen Sprache konfrontiert, die viele überfordert. Darum haben wir berufsbezogene Deutschkurse geschaffen, die man parallel zur Berufsschule besuchen kann«, erklärte Breitenbach.
Bettina Jarasch vom grünen Koalitionspartner der LINKEN sieht in der berufsbegleitenden Sprachförderung noch mehr Bedarf. »Wir brauchen außerdem eine Offensive, um Geflüchtete gerade dort in Ausbildung und Berufstätigkeit zu bringen, wo wir auf einen echten Notstand zusteuern: in der Pflege und im pädagogischen Bereich«, sagt sie.
»Alle Unternehmen, die über Fachkräftemangel klagen, müssen sich der Aufgabe stellen, Geflüchtete einzustellen«, sagt Elke Breitenbach. Eine Herausforderung, der sich das Land erst stellen muss, ist es, Flüchtlingsfrauen in Arbeit zu bringen. Hier steht oft das Problem der fehlenden Vereinbarkeit mit der Kinderbetreuung. Sozialsenatorin Elke Breitenbach: »Das beginnt schon beim Besuch von Sprachkursen. Darum werden wir Sprachkurse mit Kinderbetreuung anbieten.«
Alexander Schirp von den Unternehmensverbänden freut sich über das große Interesse von Flüchtlingen an einer Ausbildung. »2017 gab es 1366 Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz. In diesem Jahr haben wir bereits jetzt mehr als 1800 Bewerbungen.« Wie bei deutschen Teenagern auch konzentriere sich das Interesse von Flüchtlingen allerdings auf Modeberufe wie etwa den des Kfz-Mechatronikers. »Bei Berufen, die in den Herkunftsländern der Bewerber eher unbekannt sind wie dem des Heizungsmechanikers, müssen wir Aufklärungsarbeit leisten, was einige Handwerksinnungen mit großem Erfolg tun«, sagt Schirp.
Um zu zeigen, wie es konkret vor Ort funktioniert, haben die verschiedenen Akteure aus Politik, Verbänden und der Arbeitsagentur am Montag in die Moll Marzipan GmbH geladen. »Wir finden leichter Geflüchtete, die sofort arbeiten und Geld verdienen wollen, als solche, die zuerst eine Ausbildung absolvieren wollen«, schildert Armin Seitz, der Geschäftsführer des Neuköllner Unternehmens, seine Erfahrung. Das sei nachvollziehbar, weil viele Syrer, Iraner und Iraker Familienangehörige in Flüchtlingslagern in anderen Ländern haben, die sie versorgen müssen. »Aber bei der Automatisierung, die bei uns ansteht, sind Helfertätigkeiten in Zukunft bedroht.« Weil die Süßwarenfirma aber einen Arbeitskräftebedarf hat, wird sie ihre geflüchteten Hilfsarbeiter intern qualifizieren.
Einer, der bei Moll Marzipan dennoch eine Ausbildung macht, ist der Afghane Zazai Faridoullka. Als der Mittzwanziger 2014 nach Deutschland kam, sprach er zwar sechs Sprachen, konnte aber nicht lesen und schreiben. Er besuchte zuerst einen Alphabetisierungskurs und lernte dann Deutsch bis zum Niveau B2. Kurzzeitig arbeitete er bei einem Sozialverband als Übersetzer für Flüchtlinge. Seit 2017 lernt er bei Moll Marzipan den Beruf einer Fachkraft für Lebensmitteltechnologie. »Damit will ich mir eine Zukunft aufbauen«, sagt er dem »nd«. Seine siebente Sprache - Deutsch - spricht er fast ohne Akzent.
Die Syrerin Annaheed Alhj-Hosin zeigt, dass man auch mit 38 Jahren für eine Ausbildung nicht zu alt ist. Ihr Ausbildungsbetrieb ist die Bundesagentur für Arbeit. In Syrien hat sie im Kulturministerium gearbeitet. »Da hatte ich viel mit Gesetzen zu tun, was mir hier zugutekommt.«
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