Nosferatu mit schlotternden Knien

Deutschsprachige Zeichnerinnen und Zeichner interpretieren klassische und moderne Schauergeschichten neu: Nicolas Mahler hat einen Text Elfriede Jelineks adaptiert

  • Ruth Oppl
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Gruselerzählung wohnt das Heimelige direkt neben dem Unheimlichen, voneinander getrennt nur von einem dünnen Organzavorhang. Der Einbruch des Unheimlichen entfremdet das Vertraute, sagt Sigmund Freud, und macht es - im besten Fall - kenntlich als grauenhaft groteske Fratze, womit das Grauen dem Humor verwandt ist.

In Österreich, einem Landstrich, der aus deutscher Sicht oftmals fälschlicherweise als eine Art 17. Bundesland betrachtet wird, ist das künstlerische Gespür für das Entsetzliche, das dem Heimatlich-Vertrauten eingeschrieben ist, besonders stark ausgeprägt und führt bei einigen Künstlerinnen und Künstlern zu einer einzigartigen Melange aus Humor und Grauen, die in Deutschland meist falsch verstanden und zum schlichten »Menschenhass« verkürzt wird. Schriftsteller wie Thomas Bernhard und Karl Kraus oder der Filmemacher Ulrich Seidl führen daher das Attribut »Menschenhasser«, und anlässlich des Literaturnobelpreises für Elfriede Jelinek beklagte Tilman Krause in der »Welt«, deren Werk sei wie eine »Jauchegrube«, in der »alles in Scherben fällt, die Liebe, die Freundschaft, Zärtlichkeit, Mitleid, Fürsorge und Anteilnahme«, kurz: Eine »Macht des Hasses« sei es, die da per Nobelpreis »angebetet« werde. Jelineks Humor, der die »Jauchegrube« so treffend zeichnet, bleibt bei solchen Schmähungen natürlich außen vor, zu verlockend ist das Bild der verbitterten Feministin, die, wie jeder weiß, komplett humorbefreit ist.

Schon allein deshalb ist Nicolas Mahlers Comic-Adaption von Jelineks Kurzgeschichte »der fremde!« ein Gewinn. Die Adaption erscheint im Rahmen der Comicreihe »Die Unheimlichen«, für die, kuratiert von der Comiczeichnerin Isabel Kreitz, die deutschsprachige Zeichnerszene klassische und moderne Schauergeschichten neu interpretiert.

Jelineks sprachorientierter Humor sorgt in Zusammenspiel mit Nicolas Mahlers präzisem Gefühl für Timing und Rhythmus dafür, dass statt einer simplen Nacherzählung ein komplett eigenständiges Werk entsteht, in dem sich Jelinek und Mahler humoristisch auf Augenhöhe begegnen. Dabei darf man bei dem kleinen Band keinen Gruselcomic im Stil der trivialen »Seltsam, aber so steht es geschrieben«-Gespenstergeschichten erwarten. In »der fremde!« werden vielmehr solche Geschichten zu einer einzigen komprimiert und auf ihre Essenz reduziert.

Erschienen ist Jelineks Kurzgeschichte erstmals 1969 in dem von Peter Handke herausgegebenen Sammelband »Der gewöhnliche Schrecken«, in dem Handke zeitgenössische Autoren wie H. C. Artmann, Thomas Bernhard, Friederike Mayröcker oder Peter O. Chotjewitz dazu einlud, »dem Horror des Banalen« nachzugehen. Der Sprachfluss, den Elfriede Jelinek rund um den Fremden organisiert, dessen Gesicht »allen bekannt ist bekannt sein muss« und dessen verblüffende Ortskenntnisse die Bewohner irritieren, ist bei Jelinek collagiert aus Phrasen, Werbefetzen, Sprichwörtlichem oder medialen Bildern, aus denen sich die Enge der Dorfgemeinschaft ebenso herauslesen lässt wie die Schatten der daraus Vertriebenen und die Geheimnisse im Keller. Nicolas Mahler kürzt Jelineks Sprachfläche auf wenige Sätze, die er außerdem für seine Geschichte neu arrangiert, und greift in seiner reduzierten und minimalistischen Bildsprache die Reibungen der Sprachcollage auf. Sein Fremder ist Murnaus Nosferatu mit schlotternden Knien.

Nicolas Mahler/Elfriede Jelinek: »Der Fremde!«. Carlsen-Verlag, 64 S., geb., 12 €. Lesung & Buchpremiere: 13.6., 20 Uhr, Pfefferberg-Theater, Prenzlauer Berg. Neben Nicolas Mahler präsentieren auch Lukas Jüliger und Isabel Kreitz ihre Adaptionen von Edgar Allan Poe und Sarah Khan. Kreitz, Mahler und Jüliger lesen selbst aus den bebilderten Werken.

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