Endspiel am Horn von Afrika

Herbert Graf über Eritrea - »ein kleines geschundenes Land«

  • Hans-Georg Schleicher
  • Lesedauer: 4 Min.

Über Eritrea, einen der jüngsten Staaten Afrikas mit einer sehr alten Geschichte, wurde bislang wenig publiziert. Wohl auch deshalb leitet Herbert Graf seine Studie mit ausführlichen Informationen zu diesem Küstenstaat am Roten Meer ein, »um der Wahrheit über Eritrea näher zu kommen«. Dabei geht er auf die Entwicklung der gesamten Region am Horn von Afrika ein.

Eritrea ist für den Autor, wie er schon im Untertitel seines Buches vermerkt, von jeher Opfer von Großmachtinteressen, die er dann auch benennt. Hier liegt ein Schwerpunkt des Buches. Detailliert setzt Graf sich auch mit der Instrumentalisierung internationaler Organisationen für die aktuelle Politik des »Regime Change« gegenüber Eritrea auseinander und prangert die Isolierung und Sanktionierung des Landes an. Zur Lage dort stellt er den medial verbreiteten Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen Fakten zur sozialen Entwicklung gegenüber und zitiert internationale Beobachter.

In seine Darstellung historischer Entwicklungen lässt er eigene Erfahrungen und Eindrücke von seinen Aufenthalten in der Region und den Begegnungen mit den Menschen dort einfließen. Herbert Graf gehörte zu einer kleinen Gruppe von DDR-Experten, die in den 1970er Jahren um politische Vermittlung im langwierigen Konflikt zwischen Eritrea und Äthiopien bemüht waren. Er macht aus seiner Unterstützung für die Selbstbestimmung und Eigenständigkeit Eritreas keinen Hehl, nicht ohne jedoch auch auf zahlreiche Gemeinsamkeiten in der kulturellen Entwicklung beider Staaten in ihrer »seit Jahrtausenden verwobenen Geschichte« hinzuweisen.

Die ausführliche Reflexion historischer Hintergründe dient dem Verständnis für aktuelle Entwicklungen in der Region und in Eritrea selbst. Imperiale Interessen der Großmächte an der geopolitischen und militärstrategischen Lage des Landes am Roten Meer hätten das Schicksal des Staates und seiner Menschen stärker beeinflusst als innere Impulse und eigene Entwicklungserfordernisse. Eine besondere Rolle weist Graf der US-amerikanischen Politik im Ost-West-Konflikt zu. Besonders aufschlussreich sind seine Einschätzungen zur Lage am Horn von Afrika Mitte der 1970er Jahre mit den »Wechselbündnissen« der Länder der Region im Kalten Krieg.

Dabei widerspricht Graf Auffassungen, die DDR und konkret SED-Politbüromitglied Werner Lamberz hätten die Sowjetunion und Kuba zur Unterstützung Äthiopiens gedrängt. Lamberz habe sich zwar leidenschaftlich für solidarische Hilfe engagiert, aber die Situation in Äthiopien selbst kritisch beurteilt. Der Autor teilte diese kritische Einschätzung, so auch bei seinem nachfolgenden Beratereinsatz in Äthiopien.

Besonders interessant sind die Erfahrungen des Zeitzeugen zu den Verhandlungen über eine Regelung des Konfliktes zwischen Äthiopien und Eritrea 1977/78, bei denen sich die DDR - letztendlich vergeblich - aktiv um Vermittlung bemühte. Dazu gab es zum Teil hochrangige Treffen in der DDR-Hauptstadt. In dieser wichtigen Phase der Verhandlungsbemühungen kamen mit Werner Lamberz und Paul Markowski die Schlüsselpersonen der DDR-Expertengruppe bei einem Hubschrauberabsturz in Afrika ums Leben. Nachfolgende Treffen zwischen Äthiopien und Eritrea verliefen erfolglos. Graf sieht dafür die Ursache in der veränderten Haltung Äthiopiens, das dann auch Mitte 1978 eine neue Militäroffensive gegen Eritrea begann.

Ende der 1980er Jahre spricht der Autor vom »Endspiel des Kalten Krieges in Ostafrika« zwischen den USA und der UdSSR. Die Rochade der beiden Großmächte in den 1970er Jahren am Horn von Afrika (in Bezug auf Äthiopien und Somalia) endete mit einem Schachmatt für die sowjetische Seite. Die afrikanischen Partner der Sowjetunion wurden wie die sozialistischen Staaten Europas auch - so Graf - von Moskau hinters Licht geführt. Bei den entscheidenden Verhandlungen zur Zukunft Äthiopiens und Eritreas 1991 in London war dann allerdings die Sowjetunion schon nicht mehr eingeladen. Nach der Unabhängigkeit Eritreas 1993 verblieben diesem Land nur wenige »Goldene Jahre«, bevor 1998 ein erneuter Krieg mit Äthiopien ausbrach.

Eritrea, die Oase am Roten Meer, war ein abseitiger, oft unterbelichteter Schauplatz des Kalten Krieges, den Herbert Graf nunmehr mit interessanten Fakten und Argumenten aufhellt, womit er gleichzeitig leidenschaftlich für »das kleine geschundene Land« plädiert.

Herbert Graf: Eritrea. Oase am Roten Meer und Opfer von Großmachtinteressen. Ein junger Staat auf neuen Wegen. Verlag am Park/Edition Ost, 156 S., br., 14,99 €.

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