Die Klassen sind undurchlässig

OECD bescheinigt Kindern armer Familien geringe Aufstiegschancen

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Klassenstrukturen verfestigen sich. Das ist im Grunde das Ergebnis einer Studie, die die OECD am Freitag veröffentlicht hat. Zwar spricht die Industriestaatenorganisation darin nicht von Klassen, doch ist ihre Botschaft eindeutig: Für arme Menschen wird es immer schwieriger aufzusteigen, reiche müssen sich weniger Sorgen machen, abzusteigen. Und das gilt nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihre Kinder und Kindeskinder.

Es ist die vierte Studie, die die OECD zum Thema soziale Ungleichheit veröffentlicht hat und dabei seit Jahren ein Anwachsen der Kluft zwischen Arm und Reich feststellt. Diesmal widmet sich die Organisation dem Thema soziale Mobilität, also der Frage von Aufstiegschancen. »Ist der Soziale Aufzug kaputt?«, fragt sie im Titel. OECD-Expertin und G20-Unterhändlerin Gabriela Ramos weiß auch gleich die Antwort: »Zu viele Menschen fühlen sich zurückgelassen und ihre Kinder haben kaum Chancen, sozial aufzusteigen.« Man müsse sicherstellen, dass jeder die Chance habe, erfolgreich zu sein, »insbesondere die am stärksten Benachteiligten«.

Die OECD-Forscher berechneten unter anderem, wie lange es dauert, bis die Nachkommen einer einkommensschwachen Familie in der Mitte der Gesellschaft ankommen, also durchschnittlich verdienen. Das Ergebnis: sechs Generationen oder 180 Jahre. Damit liegt Deutschland zusammen mit Frankreich über dem OECD-Durchschnitt von fünf Generationen. Besonders schwer nach oben kommen demnach die Menschen in Brasilien, Südafrika und Kolumbien. Am durchlässigsten sind die Gesellschaften in Dänemark, Norwegen, Finnland und Schweden. Dort brauchen Familien zwei beziehungsweise drei Generationen, um von ganz unten nach ganz oben zu gelangen. Dies sind auch die Länder mit der niedrigsten Einkommensungleichheit.

Drei Kategorien von Ländern unterscheidet die OECD: erstens Länder mit hoher Einkommensungleichheit und wenig sozialer Mobilität wie Brasilien und Südafrika, zweitens Länder mit wenig Ungleichheit und großen Aufstiegschancen wie die skandinavischen Staaten und drittens Länder mit durchschnittlicher Einkommensungleichheit und wenig sozialer Mobilität. Deutschland gehört zur dritten Kategorie. Was es indes laut der Industriestaatenorganisation nicht gibt, sind Länder mit hoher Ungleichheit und hoher sozialer Mobilität.

In Deutschland haben 42 Prozent der Söhne von Geringverdienern selbst ein niedriges Einkommen. Dies ist deutlich mehr als der OECD-Durchschnitt von 31 Prozent. Noch nicht mal jedes zehnte Kind eines Geringverdieners schafft es in die oberste Gehaltsgruppe. Gleichzeitig schafft es jedes zweite Kind reicher Eltern, einmal selber sehr gut zu verdienen. Einher geht dies mit einer hierzulande sehr strikten Aussiebung im Klassenzimmer. So schafft nur etwa jedes Kind aus einem bildungsfernen Haushalt einen Hochschulabschluss. Bei Akademikerfamilien ist es mehr als die Hälfte. So spielt die Struktur des deutschen Bildungssystems laut der OECD in Sachen soziale Mobilität eine entscheidende negative Rolle: Nur etwa ein Drittel der Unter-3-Jährigen besuchte 2014 eine Kita, nur für ein Drittel der Grundschüler wird ein Nachmittagsunterricht angeboten und gleichzeitig werden die Schüler auf Grund des mehrgliedrigen Schulsystems früh getrennt. Dies alles verringert die Chancen für Kinder aus bescheidenen Verhältnissen, Bildungsrückstände aufzuholen.

Gleichzeitig lässt sich der Mangel an sozialer Mobilität hierzulande teilweise auch auf Langzeitarbeitslosigkeit zurückführen. Denn auch im Lebensverlauf ist die Einkommensmobilität besonders am unteren und oberen Rand recht begrenzt. 58 Prozent derjenigen, die zum unteren Fünftel der Einkommensbezieher gehören, kommen innerhalb von vier Jahren aus dieser Position nicht heraus. Gleichzeitig schaffen es 74 Prozent des obersten Einkommensfünftels, ihre Position zu wahren. Der Anteil ist in den 1990er Jahren noch gestiegen.

Unterdessen glaubt die OECD, dass die soziale Mobilität gestärkt werden kann. Neben Investitionen in Bildung sowie weniger Abgaben für Mittel- und Geringverdiener schlägt die Organisation eine Reform der Erbschaftssteuer vor. Dies soll helfen, die hohe Vermögenskonzentration am oberen Ende zu verringern.

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