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Die WM beim Nachbarn spaltet die Ukraine

Staats- und Fußballverbandsführung wollten, dass die Ukrainer das Turnier in Russland ignorieren, doch die Einschaltquoten sind hoch

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 3 Min.

Präsident Petro Poroschenko und Außenminister Pawlo Klimkin hatten sich das ganz anders vorgestellt. Die Ukraine sollte die Fußball-WM in Russland möglichst komplett ignorieren, am liebsten sollten Ukrainer sogar auf die Fernsehübertragungen des Turniers im Nachbarland ganz verzichten. Doch Fußballfans haben ihren eigenen Kopf, und so müssen besonders seit Beginn der K.o.-Phase Kneipentische im Stadtzentrum Kiews schon rechtzeitig reserviert werden, denn viele wollen die Weltmeisterschaft hier in Gesellschaft gucken.

In diesen Tagen gibt es in der Ukraine kaum Themen, die umstrittener sind als die WM in Russland. Bis kurz vor Turnierbeginn war sogar unklar, ob sie überhaupt im Fernsehen übertragen wird. Der ursprüngliche Rechteinhaber, ein aus den Steuern finanzierter öffentlicher Sender, wollte die Spiele wegen des möglichen Imageschadens nicht übertragen - und verkaufte die Lizenz in letzter Sekunde an den privaten Sender Inter, der mit seiner regierungskritischen Agenda stets für Aufregung sorgt - und oft als prorussisch abgestempelt wird. Einige Parlamentsabgeordnete wollten daraufhin ein Verbot für die WM-Übertragung durchsetzen, auf die Tagesordnung schaffte es der Entwurf letztlich aber nicht mehr.

Für die Übertragungen von Inter waren die Wirren kurz vor der WM wahrscheinlich sogar kostenlose Werbung. Schon die fußballerisch schwache Auftaktpartie zwischen Russland und Saudi-Arabien hatte dem Sender eine Tageshöchstquote eingebracht, was für ukrainische Verhältnisse weniger selbstverständlich ist als für deutsche.

Die Berichterstattung des Senders sorgt jedoch auch für viel Kritik. Der nationale Fußballverband FFU hatte sich offiziell aus Sicherheitsgründen geweigert, die Akkreditierung der TV-Journalisten für die WM im Nachbarland durchzuführen, doch der Sender schickte trotzdem eigene Korrespondenten nach Russland. Kritische Berichte und Aufklärung politischer Hintergründe liefern sie allerdings keine.

Dabei sind ukrainische politische Gefangene in Russland derzeit das Topthema in fast allen anderen Medien. Ganz oben auf der Liste steht Kinoregisseur Oleh Senzow, der 2014 auf der annektierten Krim wegen des Verdachts auf vermeintliche Planung einiger Anschläge festgenommen wurde, unter anderem auf das Büro der Regierungspartei Einiges Russland. Bewiesen ist seine Schuld nicht, dennoch wurde er vor drei Jahren zu 20 Jahren Haft verurteilt.

Exakt einen Monat vor dem WM-Auftakt begann er einen Hungerstreik mit der Forderung, alle rund 70 Ukrainer, die seiner Meinung nach wegen politischer Motive in russischer Haft sitzen, sofort freizulassen. Drei von ihnen haben sich Senzow im Hungerstreik mittlerweile angeschlossen. Er selbst habe laut seiner Cousine Natalja Kaplan, die ihn am Donnerstag besuchte, in den vergangenen 53 Tagen 15 Kilogramm abgenommen und fühle sich schlecht. Die Gefängnisleitung ernährt ihn über einen Tropf mit Vitaminen. Unter diesen Umständen betonten Vertreter der FFU-Führung, selbst im Fernsehen keine Spiele der WM anschauen zu wollen. Wirklich glaubwürdig ist das jedoch nicht, schließlich hatte das ukrainische Nationalteam selbst an der Qualifikation teilgenommen.

Die wenigen Funktionäre wären für den Erfolg eines Boykotts ohnehin eher unwichtig. Vor allem, da die Mehrheit der Ukrainer in der Tat von einem solchen WM-Protest wenig zu halten scheint. Das Achtelfinale Spanien gegen Russland hatte am Sonntag die mit Abstand beste Fernsehquote der WM bisher. Inter lag dabei mit einem Marktanteil von 23,1 Prozent klar vor allen Konkurrenten. Selbst das folgende Spiel Kroatien gegen Dänemark lag mit 17 Prozent noch auf Rang eins zu seiner Sendezeit. Das Interesse ist also nicht nur auf die russische Mannschaft beschränkt. Rund 6000 Ukrainer sind sogar nach Russland gereist, um sich die Spiele vor Ort live anzusehen.

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