Razzia in Dortmund: Ziel waren französische Atomkraftgegner

Aktivisten hatten auf Firmen aufmerksam gemacht, die am Bau des französischen Atommüllendlager Cigéo in Bure beteiligt sind

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Tür zum "Wissenschaftsladen" im Dortmunder Kulturprojekt Langer August nach der Razzia.
Die Tür zum "Wissenschaftsladen" im Dortmunder Kulturprojekt Langer August nach der Razzia.

Donnerstagabend 19 Uhr, die Durchsuchung des »Langen August« liegt 24 Stunden zurück. Vor dem Haus in der Dortmunder Nordstadt stehen gut 100 Leute, wieder ist die Polizei mit einem Großaufgebot in der kleinen Straße präsent. Es ist dieselbe Einheit, die am Vorabend die Durchsuchung des Kulturzentrums abgesichert hat. Heute muss sie eine Demonstration gegen die Razzia begleiten.

Unter den Demonstranten wird viel geredet. Was kosten neue Türen für den Serverraum des Wissenschaftsladens? Warum hat die Polizei eine Besenkammer aufgebrochen. Andere, vor allem ältere Demoteilnehmer, erzählen ihre Geschichten aus dem Langen August. Zum Beispiel die, dass es 1991 schon mal eine Durchsuchung gab, damals hatten Kriegsgegner Flugblätter verteilt, die bei einer deutschen Beteiligung am Irak-Krieg Soldaten zum Desertieren aufgerufen hatten.

Mittlerweile ist auch klar, warum die Hausdurchsuchung am Mittwoch stattgefunden hat. Das Ziel der Maßnahme waren Gegner des geplanten französischen Atommüll-Endlagers Bure. Das Centre industriel de stockage géologique (Cigéo) liegt im strukturschwachen Lothringen, gut 120 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Geplant war es erst als Forschungseinrichtung. Mittlerweile ist klar, dass es das französische Endlager werden soll. Seit Jahren gibt es dort Widerstand gegen das geplante Endlager. Und dieser Widerstand gerät in den letzten Monaten zunehmend unter Druck.

Im Februar wurde eine große Waldbesetzung geräumt und Mitte Juni gab es Durchsuchungen bei französischen Aktivisten, die wegen Bure oder G20 aufgefallen waren. Als Reaktion auf die Festnahmen veröffentlichten Aktivisten auf einem Blog, das bei »systemausfall.org« gehostet ist, Baupläne französischer Gefängnisse und des Atomkraftwerks Fessenheim. Im Zuge einer aktuellen Kampagne, die auf Firmen aufmerksam machen möchte, die am Bau des Cigéo beteiligt sind, wurden außerdem auch mehrere Gigabyte Daten zur französischen Firma Ingerop veröffentlicht.

Ingerop ist eines der größten Ingenieurbüros in Frankreich und an zahlreichen Großprojekten beteiligt. Die Dokumente von Ingerop sind nun der Grund für die Durchsuchung gewesen. Französische Ermittlungsbehörden hatten eine Europäische Ermittlungsanordnung übermittelt. Das Landeskriminalamt NRW und die Staatsanwaltschaft Köln reagierten darauf umgehend.

Die Internetseite, auf der die Dokumente zu finden waren, sind nun zwar aus dem Netz verschwunden, aber vereinzelt sind noch Fragmente und Interpretationen zu finden. Cécile Lecomte, Kletteraktivistin und Atomkraftgegnerin, erzählt gegenüber dem »nd«, dass die veröffentlichten Dokumente für den Widerstand durchaus wichtig gewesen seien.

Sie kenne zwar auch nur Auszüge, diese verdeutlichten aber, dass die Planer die Gefahr des Atommülls zu gering einschätzen. Auch gäben die Dokumente Hinweise darauf, wie sehr Atomkraftgegner in Frankreich überwacht werden. Die Razzia in Dortmund zeige, dass »die Behörden bei der Verfolgung keine Grenze kennen.« Für den Widerstand wünscht sich Lecomte das Gleiche, auch er soll grenzüberschreitend sein.

In Dortmund gab es am Donnerstag zwar nur lokale Solidarität, doch diese überschritt auch politische Grenzen. Insgesamt zogen 200 Menschen unter polizeikritische Parolen durch die Dortmunder Nordstadt. Es war eine bunte Mischung aus jungen Antifa-Aktivisten, Altlinken und Nerds. Für eine spontane Demo im Ruhrgebiet ist das eher ungewöhnlich.

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