Auf der Suche nach dem perfekten Bild

Kaum ein FIFA-Präsident schwebte je geschickter durchs WM-Turnier als Gianni Infantino

  • Daniel Theweleit, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine sauber dosierte Portion Rücksicht schickt Gianni Infantino mit auf die Reise, als er Wladimir Putin den Ball in den Lauf spielt. Selbstverständlich weiß der Präsident des Fußballweltverbandes FIFA, dass der russische Präsident kein versierter Fußballer ist, also spielt er seinen Pass weder zu hart noch zu steil, aber auch nicht so zögerlich, dass Putins Unbedarftheit allzu sehr auffallen würde. Das Zuspiel ist ein kleines diplomatisches Meisterstück mitten auf dem Roten Platz. Dort haben die beiden sich getroffen, um für die Kameras zu posieren. Sie haben ihre Jacketts abgelegt, wirken sportlich, anpackend und: sehr zufrieden.

Wenn nicht noch ein schreckliches Unglück passiert, wird diese Weltmeisterschaft als strahlender Erfolg in die Fußballgeschichte eingehen. »Wundervoll, unglaublich, großartige Feier, großartige Spiele, großartige Organisation, gastfreundliches Land«, schwärmt Infantino.

Eine Rückblende: Vier Wochen vorher, am Tag vor dem Eröffnungsspiel, wirkt der Schweizer noch ziemlich steif. Auf dem FIFA-Kongress ist seine Unsicherheit nicht zu übersehen, es gibt Gerüchte über finanzielle Probleme des Verbandes. Niemand weiß zu Beginn dieses Tages, ob die 211 Mitgliedsnationen die WM 2026 womöglich nach Marokko vergeben werden, statt an die Trias aus den USA, Mexiko und Kanada, wo sich sieben Milliarden Euro mehr verdienen lassen. Für Infantino ist dieses Geld unverzichtbar, es droht eine schwere persönliche Niederlage.

Einsam sieht der Mann auf dem Podium aus, und als Putin zum kurzen Grußwort erscheint, irrt Infantino über die Bühne wie ein Clown, eilt zum falschen Eingang während der hohe Gast die Bühne von der anderen Seite betritt. Ein sehr peinlicher Moment ist das. Seitdem wird Infantinos Lächeln aber immer breiter, die anfängliche Unterwürfigkeit ist verschwunden. »Ein glücklicher Mann sitzt vor ihnen, ein sehr glücklicher FIFA-Präsident, wir haben heute gezeigt, wie die FIFA funktioniert«, sagt er, nachdem die WM 2026 nach Amerika vergeben wurde und auch sonst alles nach Plan gelaufen ist.

Tatsächlich zeigt der Weltverband in den folgenden WM-Wochen seine Funktionalität. Sicherheit, Stimmung, sportliche Dramen, die Qualität der Spiele: Nirgends gibt es größere Pannen, sogar den Videobeweis setzt die FIFA viel besser um als beispielsweise die Bundesliga. Selten schwebte ein Präsident geschickter durch die Turnierwochen, immer vor Ort - und im Bild - bei den wichtigen Spielen, quasi als diplomatische Instanz zwischen den Staatspräsidenten, weltmännisch nonchalant, neutral. Und die TV-Regie folgt brav der Anweisung, den Präsidenten in Szene zu setzen: Bei Toren gratuliert er dem einen, spricht Trost an den anderen aus, die FIFA inszeniert sich als friedfertiges Verbindungsstück zwischen den Nationen in einer Welt, die mehr und mehr auseinanderzubrechen scheint.

Als Infantino gefragt wird, ob er das Teilnehmerfeld der WM womöglich schon in vier Jahren auf 48 Nationen aufstocken wolle, und das Turnier dann womöglich nicht nur in Katar, sondern auch im eher feindlich gesinnten Nachbarstaat Saudi-Arabien stattfinden könnte, erwidert Infantino: »Wenn es mir möglich wäre, den mittleren Osten zusammenzubringen, wäre ich froh.« Gut möglich, dass der Sohn eines Zeitungsboten aus Brig heimlich auf den Friedensnobelpreis schielt, ähnlich wie sein Vorgänger Sepp Blatter, mit dem Infantino zwar eine tiefe Feindschaft verbindet, der aber als Lehrmeister des 48-Jährigen gelten kann.

Statt wie angekündigt die von Blatter installierten Strukturen der Verschleierung zu bekämpfen, hat Infantino das System eher noch perfektioniert. Der Jurist umgibt sich mit hoch umstrittenen Figuren wie Zvonimir Boban, der 2017 laut »Süddeutscher Zeitung« in einem Betrugsprozess zu einer Strafzahlung von 530 000 Euro verurteilt worden war. Den inzwischen wegen Korruptionsvorwürfen aus allen Ämtern zurückgetretenen Ghanaer Kwesi Nyantakyi machte Infantino im vorigen Herbst noch zum Chef der FIFA-Stiftung, die soziale Projekte fördern soll. Und die Aufseher des Ethikkomitees ersetzt er in einer Nacht- und Nebelaktion »durch Freunde und unschädliche, weil inkompetente Amtsträger«, kritisiert der Basler Strafrechtsprofessor Mark Pieth, der bis 2013 helfen sollte, Korruption in der FIFA zu bekämpfen.

All dies verblasst nun hinter den bunten Bildern des großen WM-Fests. Selbst Infantinos bittere Niederlage beim Versuch, neue Wettbewerbe zu erfinden, in die dubiose Geldgeber aus Saudi-Arabien angeblich 25 Milliarden Euro investieren wollten, ist fast vergessen. Mittlerweile wischt Infantino solche Themen mit genauso großer Geste vom Tisch, wie Fragen nach dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, nach Menschenrechtsverletzungen oder nach den Arbeitsbedingungen beim nächsten WM-Gastgeber Katar. »Wir sind nicht perfekt«, sagt Infantino, aber das sei ja nur menschlich. Wichtiger ist ohnehin, dass die Bilder perfekt sind. Bei all dem Guten, das die FIFA leiste, sei es bedauerlich, dass »man immer versucht, das Haar in der Suppe zu finden. Wir haben gute Nachrichten«, sagt der Verbandsboss.

Eine solche Nachricht soll wohl auch sein, dass Infantino 2019 für vier weitere Amtsjahre kandidiert: »Ich glaube an die Kinderaugen in Haiti, in Sao Tome, in Ruanda, in Myanmar, die leuchten, wenn man ihnen einen Ball gibt«, begründet er seinen Vorstoß. Mit denen lassen sich auch tolle Bilder produzieren.

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