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Planetencrash mit Folgen

Trotz ihrer großen Zahl stammen die meisten Asteroiden von einer Handvoll Mutterkörper in der Frühzeit des Sonnensystems ab

  • Dirk Eidemüller
  • Lesedauer: 5 Min.

Asteroiden machen nur einen kleinen Teil der Masse in unserem Sonnensystem aus, doch ihre schiere Zahl ist beeindruckend: Über 650 000 dieser Gesteinsbrocken sind mittlerweile bekannt, und noch sehr viele mehr vermuten Astronomen im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Sie kreisen rund 2- bis 3,4-mal so weit wie die Erde um die Sonne. Durch Resonanzen mit der Umlaufbahn des Jupiter unterteilt sich der Asteroiden-Hauptgürtel in einen inneren, mittleren und äußeren Gürtel. Im inneren Teil mit einer Sonnenentfernung von bis zu 2,5 astronomischen Einheiten sind bereits rund 200 000 Gesteinskörper identifiziert.

Der Ursprung dieser Körper ist jedoch bislang nur schwer ausfindig zu machen. Es gibt ein paar Asteroidenfamilien, die sich auf je einen gemeinsamen Mutterkörper zurückführen lassen. Nach der Bildung der Himmelskörper in der protoplanetaren Scheibe in der Frühzeit unseres Sonnensystems hatten sich auch im Asteroidengürtel einige größere Körper gebildet, die aufgrund der dominierenden Gravitationswirkung des Gasriesen Jupiter aber nicht weiter wachsen konnten. Im Lauf der Jahrmillionen kam es dann wiederholt zu Kollisionen, bei denen diese Mutterkörper fragmentierten und eine Vielzahl kleinerer Gesteinsbrocken freigesetzt wurde. Eine solche Asteroidenfamilie kann durchaus mehrere Prozent der Gesamtzahl an Körpern im Hauptgürtel ausmachen.

Für das Verständnis der Entwicklung des Sonnensystems ist es wichtig zu wissen, welche Asteroiden solchen Familien entstammen oder unabhängig von größeren Körpern entstanden sind. Der Nachweis, wie viele Mutterkörper es ursprünglich gab, ist jedoch schwierig, da sich die Komposition nicht einfach bestimmen lässt und die Bahnen sich im Lauf der Zeit auseinander bewegt haben. Ein Astronomenteam um Stanley Dermott von der Universität Florida schlägt nun im Fachblatt »Nature Astronomy« (DOI: 10.1038/s41550-018-0482-4) eine neue Methode vor, um Asteroiden mit familiärer Abstammung von Einzelgängern zu unterscheiden.

Die fünf größten Asteroidenfamilien im inneren Gürtel - Flora, Vesta, Nysa, Polana und Eulalia - zeigen jeweils eine charakteristische Verteilung von Bahnneigung und -exzentrizität. Bei den Asteroiden, die sich bislang nicht einer Familie zuordnen ließen, weicht das Verhältnis von Größe und Bahn teilweise deutlich von den anderen ab. Diese Verteilung ist nach Ansicht der Astronomen ein Hinweis darauf, dass diese Körper nicht zu den bekannten Familien gehören, sondern zu älteren »Geisterfamilien«, die so alt sind, dass ihr Ursprung sich aufgrund von Kollisionen und orbitaler Dynamik nicht mit herkömmlichen Methoden rekonstruieren lässt.

Insgesamt gehören rund 85 Prozent der Asteroiden im inneren Gürtel zu den fünf großen Familien. Die übrigen 15 Prozent könnten zum Teil ebenfalls von den selben Mutterkörpern stammen und sich dann aufgrund komplexer Dynamiken hin zu anderen Umlaufbahnen bewegt haben. Vermutlich stammen sie aber von alten, bislang nicht identifizierten »Geisterfamilien«.

Die Frage, wie viele Himmelskörper es ursprünglich im Bereich zwischen Mars und Jupiter gab, stellt sich auch anhand der Meteoriten, die auf der Erde gefunden werden. Denn obwohl Zehntausende dieser Gesteins- und Metallklumpen in verschiedenen Größen in wissenschaftlichen Sammlungen vorliegen, scheinen die allermeisten von nur einigen Dutzend Mutterkörpern abzustammen. Anscheinend haben sich allerdings sowohl die Einschlagsraten von Meteoriten als auch deren Typ im Lauf der Erdgeschichte immer wieder geändert, was sich wohl auf Kollisionen zwischen größeren Asteroiden zurückführen lässt.

Vermutlich stammen also nicht nur die Himmelskörper im inneren Asteroidengürtel, sondern auch die im mittleren und äußeren Asteroidengürtel von nur wenigen Mutterkörpern ab. Und so kataklysmisch wie die Geburt dieser Gesteinsbrocken sich gestaltet hat, so gefährlich wäre der - wenn auch unwahrscheinliche - Fall, dass einer von ihnen direkten Kurs auf die Erde nimmt. Die Kenntnis der Zusammensetzung und inneren Struktur von Asteroiden ist entscheidend, wenn man sich Gedanken über die Abwehr einer solchen Katastrophe macht.

Die neuen Analysen der Asteroidenbahnen decken sich jedenfalls mit der Untersuchung von Meteoriten auf der Erde und sprechen dafür, dass die Planetesimale im frühen Sonnensystem gering an Zahl und dafür dementsprechend massiv waren. Außerdem scheinen die Mitglieder je einer Familie in ihrer Zusammensetzung ziemlich homogen zu sein, was gegen einen differenzierten Aufbau ihrer Mutterkörper spricht. Diese können also auch nicht zu groß gewesen sein, denn sonst hätten geologische Prozesse einsetzen können, die diese Homogenität beeinträchtigt hätten.

Dieses Szenario lässt aber auch einige Fragen offen. Wenn es tatsächlich nur wenige Körper im Bereich des Hauptgürtels gab, woher kamen dann die Kollisionspartner? Könnten es vielleicht sogar Körper aus dem äußeren Sonnensystem gewesen sein? Die Beantwortung dieser Fragen wird zum guten Teil von neuen, besseren Kartierungen abhängen. Das Large Synoptic Survey Telescope, das 2019 auf dem Cerro Pachón in Chile den Betrieb aufnehmen soll, wird neben Sternen und Galaxien vermutlich auch um die fünf Millionen Objekte im Asteroidengürtel nachweisen können.

Um diese Fragen zu beantworten, sind aber auch Messungen »vor Ort« notwendig. Vor wenigen Tagen ist die japanische Raumsonde »Hayabusa 2« (japanisch für »Falke«) am Asteroiden Ryugu angekommen. Nach dreieinhalb Jahren Flugzeit und einer 3200 Millionen Kilometer weiten Reise wird sie diesen 900 Meter durchmessenden Felsbrocken zunächst aus einigen Kilometern Entfernung eingehend fotografieren und kartieren.

Im Oktober wird »Hayabusa 2« den deutsch-französischen Lander MASCOT (Mobile Asteroid Surface Scout) auf Ryugu absetzen. Dank einer Schwungmasse kann dieses zehn Kilogramm schwere Minilabor dutzende Meter weit über die Asteroidenoberfläche hüpfen und an verschiedenen Stellen geologische und mineralogische Experimente durchführen. Das soll auch sicherstellen, dass »Hayabusa 2« einen geeigneten Landeplatz findet. Die Raumsonde soll nämlich Bodenproben entnehmen und 2020 dann zurück zur Erde fliegen. Wissenschaftler erhoffen sich von diesem Material unersetzliche Einblicke in die Geburtsstunden unseres Sonnensystems.

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