Auf den Spuren Kommissar Wallanders

Der Wirkungsort des Romanhelden ist ein friedliches, beschauliches südschwedisches Städtchen

  • Harald Lachmann, Ystad
  • Lesedauer: 4 Min.
Das schwedische Städtchen Ystad, in dem Kurt Wallander, der bekannte Romanheld Henning Mankells, schon 53 Morde aufklären musste, ist in Wahrheit höchst friedlich und beschaulich. Originalschauplätze und Studios, in denen die Wallander-Filme entstehen, locken jedoch viele Besucher.
Im Aschenbecher liegen Kippen, das Whiskyglas neben der angerissenen Flasche ist noch nicht leer, die Kissen auf dem abgewetzten Ledersofa sind zerknautscht. Auch das Schachspiel auf dem Vertiko an der Wand wurde nur unterbrochen. Offenkundig ist der Kommissar nur mal eben außer Haus. Womöglich will er sich sein Abendblatt holen, die »Ystads Allehanda«. Oder er ist runter an die Ecke, wo die Pottmakaregränd auf die Västra Vallgatan trifft, um ein paar Blumen zu kaufen, weil sich Tochter Linda angesagt hat. Man weiß doch, jener Blumenladen aus der »Fünften Frau«. Kurt Wallander lässt sich Zeit. Also ist Gelegenheit, um ein wenig in seinem Privatreich zu schnüffeln, das Leser und Zuschauer nur aus den Kriminalromanen Henning Mankells kennen oder aus dem Kino. Hunderte Bücher reihen sich dicht an dicht in einem Regal, das eine ganze Wohnzimmerwand einnimmt. Ob Wallander sie alle gelesen hat? Darüber stapeln sich Brettspiele. Mit wem spielt er sie nur, der einsame Wolf? Und wann schlägt er in die Tasten des Klaviers in der Ecke? Muss er doch ständig Bösewichte jagen. Immerhin starben in den 13 Romanen, in denen ihn Mankell die Unterwelt von Ystad aufmischen lässt, bereits 53 Menschen: erschlagen, erschossen, erwürgt, erdolcht, überfahren oder aufgespießt. Was muss dieses Ystad doch für eine fürchterliche Stadt sein! Und das ausgerechnet im friedfertigen Schweden? Es gibt dieses Städtchen von 16 000 Seelen tatsächlich. Es liegt an der Küste der südschwedischen Provinz Skåne. Putzige Fachwerkgassen, belebte Fußgängerzonen, ein schöner Stortorget (Markt) gleich neben dem uralten Franziskanerkloster und der Backsteinkirche aus dem 13. Jahrhundert, außerdem Schwedens besterhaltenes Theatergebäude sowie ein Fischer- und ein Fährhafen verleihen Ystad einige Geschäftigkeit, ohne es hektisch zu machen. Ja, Ystad sei so ziemlich das einzige, was wahr ist an Mankells Romanen, schmunzelt die ortsansässige Karin Erlandsson. Denn Wallander selbst gebe es natürlich nicht, auch seine Wohnung gibt es nur in den »Ystad Studios« auf einem früheren Kasernengelände. Es sind übrigens die größten Filmstudios in ganz Skandinavien, und wenn nicht gerade gedreht wird, stehen sie Besuchern offen. So können Fans sogar auf Wallanders Couch probesitzen. Zum Glück erweisen sich auch die abgerissenen und verstümmelten Arme und Beine als Attrappen, die den Besucher gleich nebenan in der »Cineteket« erschaudern lassen. Das ist ein originelles Filmmuseum, und selbstredend steht es ganz im Zeichen Wallanders. Im wahren Ystad hält sich die Zahl der unnatürlichen Todesfälle in Grenzen. »Gerade mal alle acht Jahre gibt es hier, statistisch gesehen, einen Mord«, beteuert Karin, die das aus erster Hand weiß. Denn ihr Gatte Claes ist selbst bei der Polizei in Ystad. »Ein Wallander-Polizist!«, schmunzelt sie. Eigentlich wollten wir ihn in Fridolfs Konditorei am Kunstmuseum treffen, dort wo sich der Romankommissar immer mal Hering und Ei samt einem Leichtbier einverleibt. Claes sei auch schon auf dem Weg gewesen, beteuert Karin, doch dann habe ihn ein Funkspruch ereilt. Er musste zu einem Tatort. Etwas Schlimmes? Gar mal wieder ein Toter? Sie lacht: »Aber doch nicht bei uns in Ystad!« Also ziehen wir allein durch Kurt Wallanders Reich. Längst haben findige Fremdenverkehrsmanager alle Romanschauplätze zu einer Route verkettet. 32 Orte, in denen der Kenner Schauplätze von Mankell-Filmen wiedererkennt, gehören inner- und außerhalb Ystads dazu. So natürlich das Haus in der Mariagatan, wo Wallander privat wohnt und wo in der »Weißen Löwin« Mabasha entführt wurde. Oder das Polishuset, in dem die Kripo arbeitet, das Hotel »Continental«, in dem Wallander zuweilen speist, der Wasserturm, auf den er aus seinem Bürofenster blickt, die Harmonigatan, in der der Serienmörder aus »Mittsommermord« lebt, oder die Möllegatan, wo »Vor dem Frost« eine Zoohandlung abbrannte. Mankells Krimis erreichten bereits eine Auflage von über 25 Millionen Exemplaren, übersetzt wurden sie in 38 Sprachen Schon ein Jahr nach Erscheinen des ersten Buchs kreuzten Wallander-Neugierige in Ystad auf. Und das Interesse wächst offenbar von Jahr zu Jahr. Selbst die Feuerwehr der Stadt nutzt das Interesse: In den Sommermonaten tourt sie Krimifreaks mit einem alten Leiterwagen zu den Tatorten der Romane. Ein Besuch in Ystad lohnt jedoch auch für Nicht-Krimileser. Denn nirgends sonst in Nordeuropa lasse sich das Bild eines praktisch verschwundenen Milieus derart vollständig nachzeichnen wie in Ystad mit seinen über 300 Fachwerkhäusern, erzählt Karin. Die schmalen Gassen, deren Geschichte teils bis ins Mittelalterzurück reicht, überstanden die Modernisierungswelle der 70er Jahre schadlos. So finde sich in Ystad auch Skandinaviens ältestes noch genutztes Wohngebäude, das Pilgrändshuset aus dem Jahre 1480. Hier arbeitete einst ein Apotheker (»Pillendreher«).

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