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Einmal Großer Stern und zurück

Fahrradserie, Teil 5: Auf dem Drahtesel in die Straßenschlacht um den Kreisverkehr

  • Florian Brand
  • Lesedauer: 5 Min.
Am Kreuzberger Moritzplatz hat sich nach Umgestaltung die Situation für Radler deutlich verbessert.
Am Kreuzberger Moritzplatz hat sich nach Umgestaltung die Situation für Radler deutlich verbessert.

Extrabreite Radwege, Expressrouten, grüne Welle für Radfahrer und Vorrang vor Autos. Nein, all diese Leckerbissen stammen nicht etwa aus Berlin, sondern viel mehr aus der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Vier Meter breite und blau gekennzeichnete Fahrradwege soll es hier geben. Radler haben Vorrang - immer. Und sie werden bei jeder stadtplanerischen Maßnahme von vornherein mit eingeplant. Klingt nach Radelschlaraffenland, von dem die deutsche Hauptstadt noch weit entfernt ist.

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Eine Fahrt über die gefährlichsten Straßen der Hauptstadt: Vom nd-Redaktionsgebäude am Franz-Mehring-Platz 1 geht es mit dem Zweirad am Ostbahnhof vorbei, über die Spree in Richtung U-Bahnhof Kottbusser Tor. Von dort führt der Kottbusser Damm zum Hermannplatz. In einer Umfrage der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung nannten die Befragten neben der Schönhauser Allee in Prenzlauer Berg den Kreisverkehr am Kottbusser Tor in Kreuzberg und den Hermannplatz in Neukölln als einen der gefährlichsten Plätze für Fahrradfahrer. Auch der Weg zwischen den beiden letztgenannten Orten ist schon eine Herausforderung. Bis zur Kottbusser Brücke führt der Radweg auf dem Bürgersteig entlang. Dann endet er abrupt. Ab der Brücke bis zum Hermannplatz gibt es keinen Radweg mehr, und weil hier gerne in zweiter Reihe geparkt wird, müssen Radler*innen immer wieder ausweichen. Eine junge Frau mit Strohhut und Sommerkleid manövriert ihr gelbes Damenrad in einem Affenzahn zwischen den stehenden und fahrenden Autos hin und her. Sie überholt so manch andere Verkehrsteilnehmer*innen, dem diese Strecke weniger geläufig zu sein scheint.

Dann der Hermannplatz: Schmale Radstreifen führen auf den Bürgersteigen entlang, die laufend von ein- und aussteigenden Fahrgästen der hier haltenden Busse gekreuzt werden. Lässt man den Platz hinter sich, verschwinden auch die meisten Radwege, und plötzlich muss man sich in den Autoverkehr einfädeln. Der Platz wird jedes Jahr wieder als einer der Unfallbrennpunkte ausgemacht. seit geraumer Zeit schon soll er umgebaut werden, sagt Nikolas Linck vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club Berlin (ADFC). Weil aber neben dem Senat sowohl der Bezirk Neukölln als auch Friedrichshain-Kreuzberg bei der Umgestaltung mitzureden haben, gibt es seit Ewigkeiten ein Zuständigkeitendurcheinander.

Über die Urbanstraße, die Richtung Westen vom Hermannplatz wegführt, geht es weiter zum Moritzplatz in Kreuzberg. In der Urbanstraße führt der Fahrradweg größtenteils auf dem Bürgersteig. An vielen Stellen müssen Radler hier Bodenwellen und Botanik ausweichen. Die Prinzenstraße ist eine weitere Herausforderung: Auch hier führt ein Radweg über den Bürgersteig, der ist aber so schlecht erhalten, dass man ihn am besten meidet - zumal auch kein blaues Fahrradschild eine Nutzungspflicht anzeigt. Autofahrern passt das nicht immer: Sie hupen und überholen mit nur knappem Abstand. Der Moritzplatz hingegen bietet im Vergleich eine geradezu fahrradfreundliche Straßenführung. 2015 wurde der Kreisverkehr hier umgebaut. Die in den Jahren davor noch zweistelligen Unfallzahlen sind seit 2016 in den einstelligen Bereich gewandert.

Fahrradexperte Linck warnt jedoch davor, aus der Verkehrsbilanz voreilige Schlüsse zu ziehen. »Viele Unfälle passieren auch dort, wo viel Rad gefahren wird.« Während in Marzahn insgesamt weniger Unfälle passierten - »weil dort die Wege so furchtbar sind« - passierten gerade in Mitte oder Kreuzberg viele Unfälle, weil dort auch mehr gefahren wird. Doch auch das Wetter hat einen entscheidenden Einfluss auf die Statistik. »Ein milder Winter veranlasst sicher mehr Leute das Auto stehen zu lassen.« Im Umkehrschluss radelten prozentual gesehen weniger Leute in einem verregneten Sommer durch die Stadt.

Die Zahl der registrierten Verkehrsunfälle stieg 2017 um 1,61 Prozent auf 143 424 im Vergleich zum Vorjahr. Dem gegenüber stehen 17 415 Verunglückte im Straßenverkehr. Immerhin: Im Jahr 2000 waren es noch rund 19 500. Auch die Zahl der Verkehrstoten es nach der Verkehrsunfallstatistik der Berliner Polizei seit Jahren rückläufig. Waren es 1990 noch 226, und zehn Jahre später 89 Verkehrstote, sank die Zahl im vergangenen Jahr auf 36 und damit um rund ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr. Häufigste Ursachen seien laut Polizeistatistik Fehler beim Abbiegen, Nichtbeachten der Vorfahrt, zu hohe Geschwindigkeit, sowie falsches Verhalten von Fußgänger*innen. Auch Konsum von Alkohol spiele nach wie vor eine Rolle.

Nächstes Ziel: der Große Stern in Tiergarten. Hier passiert es: Ein Fahrradfahrer stürzt so schwer, dass Sanitäter*innen ihn verarzten müssen. Er hat eine Platzwunde am Kopf und aufgeschürfte Gelenke. Während er auf der Verkehrsinsel von den Helfer*innen versorgt wird, drücken sich der Fuß- und Radverkehr auf dem schmalen Straßenüberweg an ihm vorbei.

Für den ADFC-Experten Linck ist die T-Kreuzung auf der Straße des 17. Juni Ecke Bachstraße ein klassischer Unfallbrennpunkt. Rechtsabbiegende Autos hätten es ohnehin schon schwer, von hinten kommende Fahrradfahrer zu sehen. Das zweistreifige Rechtsabbiegen, wie es hier der Fall ist, ist für ihn hingegen ein völlig veraltetes Konzept, »was dringend abgeschafft gehört«. Ohnehin passieren über 80 Prozent der Fahrradunfälle mit Autos. Die hierbei verletzten und getöteten Personen sind fast ausschließlich Radfahrer*innen.

Für Linck ist das unlängst vom Abgeordnetenhaus verabschiedete Mobilitätsgesetz eine gute Grundlage, um die Straßen grundsätzlich sicherer zu machen. Trotzdem gebe es kein Schema F, nach dem jeder Straßenzug saniert werden könne. Laut dem Mobilitätsgesetz sollen zunächst zehn gefährliche Kreuzungen umgebaut werden, im kommenden Jahr dann 20 und im darauffolgenden 30. »Da müssen wir hin, dass jetzt kontinuierlich Kreuzungen umgebaut und sicherer gemacht werden«, sagt Linck. »Das muss jetzt aber auch umgesetzt werden.« Zwar steht Berlin im internationalen Vergleich noch nicht ganz so radunfreundlich da wie zum Beispiel London. Doch bis es hier so vorbildhaft aussieht, wie in der eingangs erwähnten dänischen Hauptstadt Kopenhagen, ist es noch ein weiter Weg.

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