Die Tränen der Schwedin Elin

Mit einem Facebook-Livestream eine Abschiebung verhindern, die Aktion von Elin Ersson macht Hoffnung auf Menschlichkeit

  • Abdol Rahman Omaren
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Schwedin Elin weinte. Mit ihren Tränen hat sie die Abschiebung eines jungen afghanischen Flüchtlings für ein paar Stunden gestoppt - vielleicht sogar für einige Tage. Sie weinte und streamte mit ihrer Kamera die Aktion live auf Facebook, und konfrontierte damit die Behörden des Flughafens, den Kapitän, die Passagiere, die Flugbegleiter und die Flugbegleiterinnen – um dagegen zu protestieren, einen Menschen in die Hölle zu schicken. Einen Menschen, der sich nicht von ihr unterscheidet, außer in dem Punkt, dass das Schicksal ihm Afghanistan als Heimatland ausgesucht hat.

Elin weinte und mit ihr weinten Tausende, die ein lebendiges Gewissen haben. Sie lässt die Hoffnung in den Herzen wieder auferstehen. Es gibt noch immer Gutes in den Herzen der Menschen, es gibt noch Menschlichkeit. Die verfaulte Rechte wird Europas Prinzipien in Sachen Menschlichkeit und Moral, die zivilisierte Nationen hervorgebracht haben, nicht brechen. Elin weinte und bestand darauf die Abschiebung zu stoppen, ohne sich um eine Geldstrafe, eine Festnahme oder die Richtlinien des Flughafens zu kümmern.

Elin weinte, während sie an das Gewissen der Passagiere und des Flugzeugkapitäns appellierte. Mit zitternder Stimme sagte sie: »Ich werde nicht zulassen, dass er in die Hölle deportiert wird. Die Hölle des Krieges, die ihn dazu brachte aus diesem Land zu fliehen. Einem Land, in dem Menschen im Namen Gottes getötet werden. Sie werden durch Bomben von denen getötet, die gekommen sind, um sie im Namen Gottes vor den Mördern zu retten.«

Elin weinte und entlarvte damit die Makel der westlichen Regierungen, die derzeit um jene wetteifern, die rechte Parteien wählen. Sie weinte und ihre Menschlichkeit quoll über, überflutete die Hamra-Strasse in Beirut und die Grenzposten der syrischen Nachbarn. Sie weinte, stahl damit Trump und Putin das Rampenlicht. Elins erstickende Stimme überdeckte das Gebrüll der Extremisten.

Liebe Elin, in Syrien, unserem zerschlagenen Land, hatten wir ein Lied, das hieß: »Zusammen wuchsen wir auf.« In unserer Kindheit haben wir es gesungen – immer wieder. Und wir glaubten wirklich, dass wir zusammen aufwuchsen, bis die Kriege uns auffraßen und wir die Richtigkeit des Liedes »Du bist nicht mein Geliebter, und wir wuchsen auch nicht zusammen auf« entdeckten.

Die Grenzen wurden geschlossen, und diejenigen, die um ihr Leben flohen, wurden erschossen. Im Ägäischen Meer gab es keinen Platz zum Weinen. Tränen wurden mit dem Salzwasser des Meeres vermischt. Liebe Elin, ich wuchs nicht mit dir auf, durchlebte mit dir nie dunkle Stunden ohne Strom, stand mit dir für ein Stück Brot Schlange oder versteckte mich mit dir vor den Sicherheitsbeamten in verlassenen Kellern.

Hintergrund: Eine junge Schwedin stoppt eine Abschiebung im Flugzeug - und die Welt schaut per Facebook zu

Trotzdem möchte ich dir sagen: »Deine Tränen fassen den Konflikt zwischen Barmherzigkeit und Barbarei zusammen. Liebe ist eine Alternative zu Hass, Moral eine Alternative zu Populismus. Hoffnung besiegt das Finsterne. Deine Tränen, liebe Elin, sind der größte Beweis dafür, dass Menschlichkeit noch existiert.«

Der Artikel ist im Original auf Arabisch und zuerst auf dem Onlineportal von Amal, Berlin! erschienen. Übersetzt wurde er in Kooperation mit dem von der Initiative Gesicht Zeigen! getragenen Projekt Media Residents von Karin al Minawi.

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