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Halb und halb ohne Ende

»The Endless« beginnt als Charakterdrama und endet als Mysterythriller

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 3 Min.

Es gibt nur wenige wirklich gute Filme, die von mehr als einem Regisseur verantwortet wurden. »Schachfieber« (1925), »Asterix erobert Rom« (1976), »Persepolis« (2007), »Der Dieb der Worte« (2012), »Alles steht Kopf« (2015), zwei oder drei von den Coen-Brüdern. Meist sind es technische Gründe: Einer hat eine künstlerische Idee, aber ihm fehlt die handwerkliche Routine, also holt er sich Hilfe. Hinter der scheinbaren Synthese steht Arbeitsteilung. Zwei wirklich gleichberechtigte Regisseure laufen Gefahr, einen Film zu ruinieren.

In »The Endless« scheitern Justin Benson und Aaron Moorhead zumindest nicht handwerklich. Der Film erlangt vor allem visuell Totalität, indem er nicht bloß Effekte setzt, sondern insgesamt einem Stil folgt. Immer wieder wird das Szenenbild von der Perspektive sabotiert, mehrfach ändern sich mit Kamerafahrten Zuordnungen von oben und unten. Der durchweg matte Schimmer arbeitet in dieselbe Richtung, und sobald die Kamera verweilt, entsteht der Eindruck, hier werde symbolisiert. Erst der Blick auf die Story offenbart, dass hinter der besonderen Einstellung allzu oft die Idee fehlt.

Der Film erzählt die Geschichte zweier Brüder, Justin und Aaron, gespielt von den Regisseuren selbst, deren Vornamen sie auch tragen. Vor zehn Jahren entflohen sie einer Sekte. Justin, der damals ein Kind war, hat andere, schönere Erinnerungen an das Leben dort als Aaron. Seine Unzufriedenheit mit dem gewöhnlichen Leben leitet sich wie von selbst ab im Wunsch nach Rückkehr. Diese Ausgangslage ist insofern bemerkenswert, als Sektenfilme meist von Befreiung und Flucht handeln. »The Endless« greift die darin verborgene Selbstgefälligkeit der Mehrheitsgesellschaft an. Was, wenn die Sekte doch recht hat? Was, wenn ein Glaube bewiesen werden kann? Was, wenn die Spinner - zufällig - im Besitz der Wahrheit sind? Die Rückkehr in den Kult macht sukzessive deutlich, dass die Brüder ihn nie wirklich verlassen haben. Obgleich volljährig, leben sie zusammen, pflegen keine Beziehungen mit anderen, auch sexuelle nicht. Justin dominiert und leitet Aaron. Sie haben in ihrem Leben danach die Lebensweise der Sekte genau reproduziert.

Allerdings macht der Film aus dieser Konfiguration zu wenig. Seine ersten 50 Minuten erzählen ein psychologisch und intellektuell ausgefeiltes Charakterdrama, die restlichen 60 Minuten eine zuweilen interessante Mystery-Geschichte. Wie Robert Rodriguez’ Thriller »From Dusk till Dawn« (1996) ist er in der Mitte zerbrochen, und wie dort ist das deswegen kein Vorteil, weil er keiner der beiden Filme, die er sein will, wirklich ist.

Das Ärgernis liegt darin, dass der zweite Teil die im ersten geweckten Erwartungen nicht erfüllt; aber er ist auch für sich schwächer. Jeglicher Schauder hier geht nicht von der Sekte aus, sondern von den mysteriösen Vorgängen auf dem Gelände, das sie bewohnt. Nicht Liturgie, sondern Glaube rückt in den Fokus. Der gesellschaftliche Charakter tritt in den Hintergrund, alles wird metaphysisch. Doch auch darin fehlt die Einheit der Ideen. Es scheint um Schuld zu gehen, um Kontrolle oder Abgabe von Verantwortung, schließlich - wiederholt werden zueinander gehörige Figuren voneinander isoliert - um die Vereinzelung des Subjekts in der Gesellschaft (so vereinzelt wie die Elemente der Fabel). Vielleicht soll das alles auf den Gedanken hinauslaufen, dass Endlichkeit dem Menschlichen eingeschrieben und Unendlichkeit allein als ewige Wiederholung und also andere Form der Hölle zu denken ist. Das wäre ein Thema für einen Film gewesen, nicht für einen halben.

»The Endless«, USA 2017. Regie: Justin Benson/Aaron Moorhead; Drehbuch: Justin Benson; Darsteller: Justin Benson, Aaron Moorhead. 111 Min.

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