Kämpfen nach dem Boom

Beim britischen Bergarbeiterstreik und in Rheinhausen standen Arbeiter und Linke zusammen. Lässt sich daraus lernen?

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 6 Min.

Das Zeitalter der (westlichen) Kohle geht zu Ende: Im Dezember dieses Jahres wird in Bottrop die letzte Steinkohlezeche des Ruhrgebiets schließen. Plötzlich kommt dieses Ende freilich nicht. Schon seit den späten 60ern, deutlich spürbar dann in den 80er Jahren wurden wesentliche Teile der Montanindustrien abgewickelt - beschrieben wird dies oft als Strukturwandel. Eine reichlich sanfte Formel für die akuten Bedrohungen der sozialen Ordnung, die mit den Folgen der zunehmenden Unrentabilität von Stahl und Kohle einhergingen. Denn beide waren Grundstoffe der Moderne. Sie gaben nicht nur Hunderttausenden Lohnarbeit, sondern brachten auch ganze Regionen und Städte, stabile Milieus und Alltagskulturen hervor.

Die Betroffenen der großen Zechen- und Werksschließungen der 80er Jahre nahmen diese nicht einfach widerspruchslos hin. Es kam zu erbitterten Verteidigungskämpfen. Zwei von ihnen - der britische Bergarbeiterstreik 1984/85 gegen Zechenschließungen und der Kampf um das Krupp-Stahlwerk in Duisburg-Rheinhausen 1987/88 - wurden gar zu »epochalen Ereignissen«. So schreibt es der Historiker Arne Hordt in seinem kürzlich erschienenen Buch »Kohle, Kumpel und Krawall«, mit dem er eine vergleichende, akteurszentrierte, also nach dem Eigen-Sinn der Proteste fragende Darstellung dieser beiden Arbeitskämpfe vorgelegt hat. Das Buch ist in der Reihe »Nach dem Boom« bei Vandenhoeck & Ruprecht erschienen. Und der Name verrät bereits: Hier geht es um das, was passierte, als das fordistische Akkumulationsregime der ersten Nachkriegsjahrzehnte, das für einen Teil der Welt Aufschwung, hohe Löhne, Sozialstaat und eine korporatistische Einbindung der Lohnabhängigen gebracht hatte, mit nachlassenden Wachstumsraten seine Grenzen erreichte.

Die Krise des Fordismus löste zunächst ab Ende der 60er Jahre einen Zyklus von Arbeitskämpfen um Löhne oder Arbeitsbedingungen aus, getragen von dem Selbstbewusstsein jener Arbeiterschaften, die in Zeiten der Vollbeschäftigung gelernt hatten, ihre Marktmacht einzusetzen.

Während des im März 1984 aufgenommenen Bergarbeiterstreiks ging es indes bereits um etwas ganz anderes. Denn an der Schwelle zum Neoliberalismus hatten sich auch die Voraussetzungen für industrielle Auseinandersetzungen grundsätzlich geändert. Niedriglohnsektoren verdrängten das Alleinernährermodell, die Sozialpartnerschaft wich zunehmend der Absicht der Arbeitgeber, Konflikte auszusitzen, Staatseigentum ging in private Hände über, Sozialleistungen wurden Stück um Stück abgebaut. Die Arbeitslosigkeit explodierte (in der BRD stieg sie von 0,14 Millionen 1970 auf 2,2 Millionen 1986) und der Lebensstandard sank (1979 schrieb der »Guardian«, Großbritannien könnte das erste Land in der Geschichte sein, dass den »Weg vom entwickelten zum unterentwickelten Land« zustande brächte). Der Arbeitsplatz an sich wurde zu etwas Umkämpftem. Damit hielt eine neue existenzielle Unsicherheit Einzug in die westlichen Gesellschaften der Nachkriegsgenerationen.

Doch aus Krisen folgt nicht zwangsläufig auch Protest. Warum nun gerade 1984 in Großbritannien und 1987 in Rheinhausen nicht nur protestiert wurde, sondern sich fundamentale Konflikte »um die Verteilung politischer Macht« und »die Organisation der Wirtschaft« entwickelten, fragt Hordt - und findet plausible Antworten. Wie diese: Zunächst wurden Schließungen noch unter Rückgriff auf sozialpartnerschaftliche Routinen verhandelt, die jedoch die Arbeitgeber zunehmend unterliefen. Die konservative britische Premierministerin Margaret Thatcher hatte beispielsweise für die (seit 1947) staatliche Grubengesellschaft National Coal Board (NCB) einen »Durchputzer« angeheuert, dessen Aufgabe darin bestand, »das Recht des Managements, zu managen«, durchzusetzen - also das »Recht« des NCB, ohne Rücksichtnahme auf die Gewerkschaften zu entscheiden, welche Gruben geschlossen würden. Ein weiterer Bruch mit dem korporatistischen Arrangement der Vorjahrzehnte war der Brief, den das NCB im Sommer 1984 an alle Bergleute schickte und in dem es appellierte, an die Arbeit zurückzukehren. »Damit endete eine Ära der industriellen Beziehungen in Großbritannien«, schreibt Hordt. »Seit 1939 hatte das National Coal Board nicht mehr zum Streikbrechen aufgefordert.«

Die Missachtung der bis dahin geltenden Regeln war es, die letztlich so viele aufbrachte und ein Jahr lang unter Slogans wie »Coal not dole« (Kohle statt Stütze) streiken ließ. Ganz ähnlich in Rheinhausen, dessen Stahlwerk nicht als erste Hütte im Revier geschlossen werden sollte, wo aber die entsprechenden Pläne mit einer solchen, die Mitbestimmung übergehenden, Arroganz den Betroffenen gegenüber ausgeplaudert worden waren, dass diese spontan rebellierten.

Besonders der Bergarbeiterstreik bot dabei all das auf, was viele heute vermissen: Selbstbewusste, wütende Arbeiter, die organisiert und regional verankert waren. Hunderttausende aus verschiedenen Milieus, die sich solidarisierten. Ehefrauen wurden erst als Unterstützerinnen aktiv und emanzipierten sich darüber schließlich aus ihren Hausfrauenrollen. Studierende sammelten Geld. Es kam zu Allianzen, die zuvor noch undenkbar gewesen waren: Wie zwischen der Gruppe Lesbians and Gays Support the Miners und der Bergarbeitergewerkschaft NUM, die sich für die Unterstützung bedankte, indem ihre Delegierten auf dem Labourparteitag 1985 eine Resolution durchbrachten, mit der sich die Partei (erstmals) zu Gleichberechtigung bekannte. Vieles von dem, was heute mühsam von linken Intellektuellen als Konzept einer »Neuen Klassenpolitik« erarbeitet wird, war damals Realität.

Und doch musste der Streik nach zwölf Monaten ohne Abschluss abgebrochen werden. Die Kumpel wurden den Erniedrigungen überlassen, die der verkümmernde britische Sozialstaat bereithielt. Für die meisten gab es nur Almosen, auf die sie eben nicht hatten angewiesen sein wollen - und keine neuen Arbeitsplätze. In Rheinhausen zögerte ein kurzer Stahlboom die Schließung etwas hinaus, und hohe Abfindungen wurden gezahlt. Dennoch: Auch hier erreichten die Beschäftigten ihr Ziel nicht, obgleich die gesamte Region Monate auf den Beinen gewesen war. Den Miners’ Strike und den Rheinhausener Aufruhr als gute alte Zeit zu verklären oder auf diese Kämpfe verweisend klagend festzustellen, dass »die Linke« heute keinen Klassenkampf mehr wolle, bringt daher allein wenig. Die Frage ist nämlich: Wenn alle Zutaten einer verbindenden, auf Solidarität gründenden klassenpolitischen Praxis vorhanden waren, warum haben die Kumpel und Stahlkocher dann trotzdem verloren? Warum konnte - im Gegenteil - nach Ende der Kämpfe der Neoliberalismus endgültig hegemonial werden, noch bevor das Ende der Sowjetunion ihn als vermeintlich alternativlos zementierte und die Sozialdemokratie vielerorts selbst zur Protagonistin der »neuen Zeit« wurde?

Ein Teil der Antwort ist wohl, dass die Anführer der Gewerkschaften und auch viele Linke nicht rechtzeitig den Paradigmenwechsel bei Besitzenden und Regierenden als solchen erkannten. Letztlich glaubten sie, nach einer gewissen Zeit des Kämpfens werde doch noch ein sozialpartnerschaftlicher Abschluss zustande kommen. Proteste rekurrierten oft »auch nach 1973 auf Vorstellungen (...), die in der Nachkriegszeit geprägt wurden« - doch hatten sich die ökonomischen Grundlagen gewandelt. Die tiefe Sehnsucht nach dem Klassenkompromiss, der für die Lohnabhängigen Nennenswertes abwirft, ohne den Rang der Profiteure dieses Wirtschaftssystems infrage stellen zu müssen, hat die Niederlagen der 80er und damit auch die heutige Lage mit verursacht. Anders gesagt: »Nach dem Boom« Geländegewinne bei sozialer Gerechtigkeit zu erreichen, erfordert(e) ein ungleich höheres Maß an Unversöhnlichkeit, an »eigener« Strategie vonseiten der Lohnabhängigen und ihren Organisationen als noch zu Zeiten des Fordismus. Miners’ Strike und Rheinhausen sind dafür eindrückliche historische Belege.

Arne Hordt: Kumpel, Kohle und Krawall. Miners’ Strike und Rheinhausen als Aufruhr in der Montanregion. Vandenhoeck & Ruprecht, 309 S., geb., 49,99€.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal