Keine Ruhe im Nordkiez

Die Bewohner*innen der Liebigstraße 34 kämpfen um ihr Haus

  • Bosse Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Zeichen stehen auf Sturm. Die Bewohner*innen der Liebigstraße 34 machen mobil, schließlich geht es um ihren Wohnraum. Der Pachtvertrag der den Bewohner*innen des ehemals besetzten Hauses bisher ein autonomes Leben ermöglichte, läuft zum Jahresende aus. Auf Briefe der Bewohner*innen antwortete der Eigentümer Gijora Padovicz bisher nicht. Aus verlässlicher Quelle wisse man, heißt es vonseiten der Bewohner*innen gegenüber »nd«, dass er ohnehin vorhabe, das Haus räumen zu lassen und teuer zu sanieren.

Der Verlust der Liebig 34 würde auch den Verlust eines ganz besonderen Projekts bedeuten, so die Aktivist*innen. Das selbstverwaltete Haus sei das einzige Projekt dieser Art in Deutschland, in dem nur Menschen wohnen, die sich als weiblich identifizieren. »Das Haus bietet so einen Schutzraum für Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft oder Geschlechtsidentität in dieser Gesellschaft diskriminiert werden«, so eine Sprecherin des Kollektivs. Außerdem biete das kollektive Zusammenleben mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Identitäten eine Alternative zur Vereinzelung, die konventionellen Wohnkonzepten innewohne. Auch die zu dem Haus gehörige Kneipe »XB-Liebig«, bietet Möglichkeiten zur kollektiven Gestaltung. Neben dem normalen Bargeschehen finden hier auch kreative und politische Veranstaltungen statt.

Das Haus war 1990 im Zuge der Hausbesetzungswelle der Nachwendezeit besetzt worden. Wie viele Häuser im Friedrichshainer Nordkiez wurde es später legalisiert, indem ein Vertrag mit den damaligen Eigentümern geschlossen wurde, der eine Nutzung durch die Besetzer*innen ermöglichte. Die Erbengemeinschaft, die nach der Wende Eigentümerin des Hauses war, verkaufte es 2007 in einem intransparenten Verfahren an die Unternehmensgruppe Padovicz.

Gijora Padovicz, der seit den 90er Jahren Häuser in und um Friedrichshain aufkauft, ist kein unbeschriebenes Blatt. Die Liebig 34 ist nicht das einzige Hausprojekt im Besitz seines Firmengeflechts. Auch die Projekte in der Scharnweber- und in der Kreutzigerstraße gehören ihm. Insgesamt sollen ihm an die 200 Häuser in der Hauptstadt gehören.

Ein Problem, vor dem die Bewohner*innen stehen, ist, dass sie durch den Pachtvertrag nicht die selben Rechte wie gewöhnliche Mieter*innen haben. Eine Kündigungsfrist gibt es nicht. Die Aktivist*innen berichten, sie hätten sich bereits zweimal postalisch an Padovicz gewandt. Grundsätzlich seien sie zu einer Verlängerung des Pachtvertrags bereit, wenn dieser ihnen weiter ein kollektives Zusammenleben ermöglichen würde. Bis heute habe Padovicz auf diese Kontaktaufnahme jedoch nicht reagiert.

Auch auf Anfrage des »nd« wollte die Unternehmensgruppe am Freitag keine Stellungnahme zur Situation der Liebigstraße 34 abgeben. »Ich gehe davon aus, dass sich Herr Padovicz dazu nicht äußern wird«, sagt lediglich eine Frau am Telefon.

Im Internet macht nun ein »Padovicz-Watch-Blog« auf die Machenschaften der Unternehmensgruppe aufmerksam. Dort heißt es, Padovicz saniere, »oft mit öffentlichen Geldern«, und werfe anschließend die Altmieter*innen auf die Straße. Dagegen wolle man sich nun endlich wehren. Am 29. September planen die Bewohner*innen daher eine erste Demonstration, um mit ihrem Anliegen eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Die Demonstration soll dabei nicht nur auf die Unternehmenspraxis der Padovicz-Gruppe aufmerksam machen, sondern auch feministische und allgemein stadtpolitische Themen aufgreifen.

Falls sich keine Einigung finden lässt und Padovicz auch weiterhin nicht auf die Briefe der Bewohner*innen reagiert, scheint eine polizeiliche Räumung der wahrscheinlichste Ausgang des Konflikts zu sein. Es wäre die erste große Räumung eines linken Hausprojektes seit der Räumung der Liebigstraße 14, die 2011 zu Ausschreitungen und einem Sachschaden von über einer Million Euro geführt hatte. Auch die Bewohner*innen der Liebig 34 sind entschlossen: »Wir werden das Haus verteidigen, koste es was es wolle.«

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