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Mietpreisbremse infrage gestellt
Verband der Wohnungsunternehmen verlangt weitgehende Abschaffung in 19 Brandenburger Kommunen
Sind die Mieten in Brandenburg zu niedrig oder zu hoch? Müssen Wohnungen gebaut oder abgerissen werden? Soll der Staat den Vermietern freie Hand lassen oder ihre Profitgier zügeln? Es kommt auf die Betrachtungsweise an.
Maren Kern ist Vorstandschefin der Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). Für Kern sind die Mieten zu niedrig. Sie fordert, das Land Brandenburg solle die in 19 Kommunen geltende Mietpreisbremse überprüfen und weitestgehend abschaffen. Dann sollte das Land aber trotzdem noch die bereits auf 250 Millionen Euro im Jahr aufgestockten Fördermittel auf 400 Millionen Euro anheben und gleichzeitig deregulieren und entbürokratisieren, beispielsweise eine um zehn Zentimeter niedrigere Deckenhöhe von 2,40 Metern zulassen und auch Abstriche beim Schallschutz erlauben. Denn sonst würden die im Berliner Umland benötigten Wohnungen nicht gebaut.
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»Wir in Deutschland wollen immer alles gleichzeitig: günstige Mieten, höchsten Komfort und umfassende Umweltauflagen«, beklagt Maren Kern am Mittwoch. »Doch dieser Anspruch auf Perfektion führt direkt in die Kostenfalle. Wenn Wohnen bezahlbar bleiben soll, brauchen wir wieder mehr Sinn für Realitäten.«
Was die Mietpreisbremse betrifft, vertritt die Bundestagsabgeordnete Isabelle Vandré (Linke) eine völlig andere Ansicht. »Brandenburg braucht die Fortführung der Mietpreisbremse«, sagt Vandré. Preissteigerungen von über 31 Prozent bei den Neuvermietungen in Potsdam im Jahr 2023 oder steigende Angebotsmieten in der Stadt Brandenburg/Havel um 11 Prozent von 2023 zu 2024 zeigen der Politikerin zufolge ganz deutlich: »Die Mietenkrise ist auch in Brandenburg angekommen. Daher habe ich absolut kein Verständnis für die Bewertung des BBU. Die Brandenburger Landespolitik muss jetzt handeln, die Mieterinnen und Mieter wirksam vor Preissteigerungen schützen und die Mietpreisbremse nicht nur verlängern, sondern ausweiten!«
Im vergangenen Jahr investierten die im BBU organisierten Vermieter insgesamt 56 Millionen Euro weniger in den Neubau als im Jahr zuvor. Sie haben damit diesen Posten um 27,7 Prozent abgeschmolzen. In die Instandsetzung flossen dagegen 6 Millionen Euro mehr. Für die Modernisierung, nach der die Miete erhöht werden darf, war ein Plus von 21 Millionen Euro zu verzeichnen. Dabei bekommen die Vermieter wegen stark gestiegener Preise für Baumaterial heute für dieselbe Summe weniger Leistung. Sie könnten jeden Euro nur einmal ausgeben und verzichten zunehmend auf den Neubau, warnt Maren Kern.
Vor zehn Jahren haben die BBU-Firmen in Brandenburg noch Nettokaltmieten von durchschnittlich 4,83 Euro je Quadratmeter verlangt. Im vergangenen Jahr waren es schon 5,82 Euro. Gegenüber 2023 kletterte der Preis um 21 Cent. Das war eine Steigerung oberhalb des langjährigen Mittels, muss Maren Kern zugeben. Im Berliner Umland wurden die Kaltmieten seit 2015 von durchschnittlich 5,28 Euro je Quadratmeter auf 6,42 Euro angehoben. Allein im letzten Jahr um 28 Cent.
Dabei sieht das Gesamtbild anders aus. Es wird durch die BBU-Werte verzerrt. Diese Werte sind zwar nicht beliebig. Denn die BBU-Firmen verfügen über immerhin 44 Prozent des Mietwohnungsbestands in Brandenburg. Das ist schon ein ordentlicher Batzen. Die am Mittwoch präsentierten Zahlen sind damit durchaus aussagekräftig. In dem Verband sind jedoch vor allem Wohnungsgenossenschaften und kommunale Wohnungsgesellschaften zusammengeschlossen. Diese kassieren in der Regel vergleichsweise moderate Mieten. 61 private Wohnungsfirmen gehören ebenfalls zum Verband. Aber auch diese verlangen akzeptable Mieten, beeilt sich Kern zu beteuern.
Glücklich darf sich indessen schätzen, wer eine Wohnung hat. Wer eine Bleibe sucht, muss mit großer Wahrscheinlichkeit viel mehr Miete berappen. Dirk Harder, Kandidat der Linken bei der Potsdamer Oberbürgermeisterwahl am 21. September, berichtete wenige Tage vor der Abstimmung, sein 31 Jahre alter Sohn habe anderthalb Jahre lang vergeblich für sich und seine Freundin eine Wohnung gesucht. Die Wohnung, die sie dann endlich bekommen haben, koste 14 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter. »Das ist eine Katastrophe«, meinte Dirk Harder. Der Kandidat und seine Helfer hatten im Wahlkampf an mehr als 2400 Haustüren geklingelt. In den Gesprächen stellten sich Mietenwahnsinn und hohe Heizkosten als eines der drängendsten Probleme in der Stadt heraus.
Eine bezahlbare Wohnung zu finden, wird immer schwieriger. In Potsdam ist die Leerstandsquote bei den BBU-Firmen 2024 um 0,3 Prozentpunkte auf 1,8 Prozent gesunken und damit auf einem vorläufigen Tiefpunkt angelangt. 2016 hatte die Leerstandsquote bei 2,9 Prozent gelegen. Bei 3 Prozent will Vorstandschefin Maren Kern von einem »ausgeglichenen Wohnungsmarkt« sprechen und gibt damit immerhin zu, dass der Wohnungsmarkt in Potsdam und genauso im gesamten Berliner Umland mit einem Leerstand von dort 1,9 Prozent nicht mehr ausgeglichen ist. Dies ist übrigens schon lange so. Bereits 2012 war die Leerstandsquote im Berliner Umland unter die Drei-Prozent-Marke gerutscht. Andere Experten sprechen dann bereits von Wohnungsnot.
Ganz anders sieht es weitab von Berlin aus. In der Prignitz beträgt die Leerstandsquote aktuell 15,2 Prozent, im Landkreis Spree-Neiße sogar 19,9 Prozent. Dabei sind in ganz Brandenburg seit 1998 bereits rund 67 000 Wohnungen abgerissen worden. Sonst sähe es noch schlimmer aus. In Spree-Neiße stünden dann heute 44,2 Prozent der Wohnungen der BBU-Firmen leer, in der Prignitz wären es 35,1 Prozent – in der kreisfreien Stadt Cottbus übrigens 40,1 Prozent. So sind es in Cottbus jetzt nur 4,9 Prozent, und Einwohner dieser nach Potsdam zweitgrößten Stadt Brandenburgs berichten, inzwischen sei es in Cottbus kompliziert geworden, eine Wohnung zu finden. Hier schlägt das Pendel schon wieder in die andere Richtung aus.
Ein bisschen Leerstand ist normal, weil immer mal Mieter ausziehen und das Quartier dann erst hergerichtet wird, bevor neue Bewohner einziehen. Liegt der Leerstand etwas höher, dürfen sich Mieter freuen, weil sie dann leichter eine Wohnung finden und die Vermieter nicht zu viel Geld verlangen können, wenn sie Mieter suchen. Zu viel Leerstand schadet aber auch den verbliebenen Mietern. Denn er verursacht Kosten, etwa durch Steuern. Die dadurch fehlenden Beträge müssen irgendwie erwirtschaftet werden.
Dieses Problem führt zu der auf den ersten Blick absurd erscheinenden Situation, dass im Berliner Umland Wohnungsnot herrscht, jedoch im Norden und Süden Brandenburgs eventuell noch weitere Wohnungen abgerissen werden müssen. Dabei sind die Wege von dort in die Hauptstadt vergleichsweise kurz, wenn man das mit der Ausdehnung des Speckgürtels von München und Frankfurt am Main vergleicht.
- Die Mitgliedsfirmen des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) erzielten im vergangenen Jahr Umsätze von insgesamt 8,2 Milliarden Euro.
- Bei den BBU-Firmen gibt es 12 850 Arbeitsplätze, darunter 517 Ausbildungsplätze.
- Schätzungsweise 18 000 weitere Jobs im Bauwesen und im Handwerk werden durch Aufträge der BBU-Firmen gesichert.
- Der BBU engagierte sich gegen den 2021 durchgeführten Berliner Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen, der die Vergesellschaftung von großen Wohnungsbeständen mit mehr als 3000 Quartieren vorsah. 15 BBU-Mitgliedsunternehmen bewirtschaften jeweils mehr als 15 000 Wohnungen.
- 2024 bauten BBU-Firmen im Berliner Umland rund 1600 Wohnungen. 348 dieser neuen Wohnungen entfielen auf Brandenburger Firmen, der große Rest auf Berliner Firmen, die mangels Platz in der Hauptstadt mit ihrer Investition ins Umland auswichen.
- Nach Verbandsangaben sind die Preise für den Wohnungsneubau seit 2021 um 33,1 Prozent gestiegen, die Löhne um 16,4 Prozent und die BBU-Mieten in Brandenburg um 8,4 Prozent. af
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