Gerichtspräsidentin kritisiert Schwarz-Gelb
Oberste NRW-Richterin Ricarda Brandts moniert Vorenthalten von Informationen im Fall Sami A.
Im Fall des zu Unrecht abgeschobenen mutmaßlichen Islamisten Sami A. haben Vertreter der Justiz schwere Vorwürfe gegen die verantwortlichen Politiker erhoben. »Hier wurden offensichtlich die Grenzen des Rechtsstaates ausgetestet«, sagte die Präsidentin des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG), Ricarda Brandts, der dpa. Durch das Vorenthalten von Informationen hätten die Behörden verhindern wollen, dass die Justiz rechtzeitig ein Abschiebeverbot verhängen konnte.
»Die Verantwortlichen sollten sehr genau analysieren, wie die Ausländerbehörde und möglicherweise das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen umgegangen sind«, sagte Brandts. Der Fall werfe Fragen zu Demokratie und Rechtsstaat - insbesondere zu Gewaltenteilung und effektivem Rechtsschutz - auf, so Brandts.
Der von den Sicherheitsbehörden als islamistischer »Gefährder« eingestufte Sami A. war am 13. Juli nach Tunesien abgeschoben worden. Am Mittwoch entschied das OVG letztinstanzlich, dass die deutschen Behörden den 42-Jährigen nach Deutschland zurückholen müssen.
Wie wenig er von rechtsstaatlichen Grundsätzen hält, machte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul deutlich. »Die Unabhängigkeit von Gerichten ist ein hohes Gut«, sagte der CDU-Politiker gegenüber der »Rheinischen Post«. Aber Richter sollten immer auch im Blick haben, dass ihre Entscheidungen dem »Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen«. Der Minister bezweifelte, dass das im Fall Sami A. geschehen sei.
Der Deutsche Anwaltverein reagierte empört. »Es ist Zeit, dass die staatlichen Behörden die Entscheidung des OVG vorbehaltlos anerkennen und nicht nachtreten«, erklärte Präsident Ulrich Schellenberg. Reuls Aussage sei »höchst unangemessen«.
Dagegen liegen Regierungspolitiker der FDP in Nordrhein-Westfalen auf einer Linie mit ihren Koalitionspartnern von der CDU. »Das Gericht lässt uns ratlos zurück«, teilte das vom FDP-Politiker Joachim Stamp geführte NRW-Integrationsministerium mit. »Wir bedauern, dass das Oberverwaltungsgericht sich mit der zentralen Frage, ob Sami A. in Tunesien Folter droht, inhaltlich nicht auseinandersetzt.« Das OVG hingegen betonte, dies sei gar nicht Gegenstand des aktuellen Rechtsstreits gewesen.
Wie schnell Sami A., der Leibwächter des Al-Kaida-Chefs Osama bin Laden gewesen sein soll, nach Deutschland zurückkehren kann, ist unklar. Er müsse von sich aus zurückreisen, sagte ein Sprecher der Stadt Bochum. Das Auswärtige Amt müsse Sami A. ein Visum ausstellen. »Wir als Stadt geben der Anwältin von Sami A. jetzt eine Kostenzusage für den Rückflug«, sagte Sprecher Thomas Sprenger. Mit Agenturen Seite 5
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