Hand am Arsch

Die Gamingszene hat ein Problem mit toxischer Männlichkeit. Nirgends wird das so komprimiert deutlich wie auf der am Samstag endenden Computerspielmesse Gamescom

  • Lee Wiegand
  • Lesedauer: 7 Min.

Die Gamescom ist ein Traum jedes Jugendlichen, der schon einmal ein Videospiel gespielt hat. Schon zu meiner Schulzeit ist das so gewesen und für die Generation davor wahrscheinlich auch. Selbst ich wollte zu dieser Messe, die damals noch Games Convention hieß und in Leipzig stattfand - was ich damals gar nicht wusste und mir auch egal war - obwohl ich selbst relativ wenig Videospiele spielte. Damals hatte ich eine Nintendo Gamecube, mit der ich eigentlich vollkommen zufrieden war, bis ich in Kontakt mit Mitschülern kam, die immer die neuesten Konsolen und Spiele im Regal hatten. Alle schauten wir MTV GameOne, das heute RocketBeans TV heißt, und träumten von der Gamescom. Angesicht der steigenden Besucherzahlen, der immensen Medialisierung der Gamescom-Erfahrung durch ununterbrochene Youtube-Streams, und der immer weiter steigenden Aufmerksamkeit, ein Traum, der sein Ende noch nicht gefunden hat.

Mittwochvormittag, Eingang Ost des Messegeländes in Köln. Die Gamescom öffnet ihre Pforten für alle. Ich stehe am Rand einer gigantischen Welle von Menschen, die den Weg zu den Ausstellungshallen flutet. Eine Mehrheit der Besucher*innen ist männlich, Frauen sind in der Unterzahl, obwohl sie rund die Hälfte der Spielerschaft ausmachen sollen. Manchmal stellt man sich in der Branche die Frage: «Woran liegt es, dass sie so wenig präsent sind? Aber bisher scheint diese Frage ihnen als Engagement ausreichend gewesen zu sein, um sich das Motto »Vielfalt gewinnt!« auf die Flagge zu schreiben.

Ich beobachte die jungen Männer, die auf die Gamescom drängen. Kleine, große, dicke, dünne, hässliche, schöne Menschen, viele in schwarzen T-Shirts ihrer Lieblingsspiele oder Lieblings-Lets-Player (Youtuber, die ihre Videospielaktivitäten live streamen). Der Schweißgeruch hält sich in Grenzen, das klassische Bild vom Gamer ist mehr die Ausnahme als die Regel.

Kurz vor der Gamescom stürmte der Hashtag menaretrash durch Twitter. Frauen versammelten sich virtuell, um gemeinsam über ihre Erfahrungen mit toxischer Männlichkeit zu sprechen. Selbstverständlich standen sofort einige verletzte, fragile »Good Guys« bereit, um diese Erfahrungen zu relativieren: notallmen - nicht alle Männer - seien so. Auch bekannte »Good Guys« aus der deutschen Gaming- und Youtube-Szene waren schnell mit von der Partie, nicht alle waren dabei höflich unterwegs. Vor allem jüngere, deren Spiel anscheinend die Provokation ist, ließen sich zu derben Geschmacklosigkeiten hinreißen. Vieles erinnerte an die sogenannte »Gamergate Kontroverse« von 2014, als mehrere Frauen ihre Erfahrungen in der Gaming᠆szene veröffentlichten und mit einer regelrechten Hetzkampagne gegen sie »belohnt« wurden. Die besagten Youtuber gelten als Vorbilder der Besucher*innen, die zum Teil sogar lange Schlangen in Kauf nehmen, um einmal ihre Idole live sehen zu können.

Ich will männliche Gamer befragen, was sie zum Thema zu sagen haben. Zunächst sind die meisten aufgeschlossen, wenn sie mein Pressekärtchen um den Hals baumeln sehen, doch wenn ich ihnen erkläre, worüber ich schreibe, verlieren sie oft den Mut. »Das wird sicher wieder so ein Hetzbeitrag über Gamer«, höre ich dann. Einige sagen Dinge, die ich nicht zitieren möchte, so unvernünftig und hasserfüllt sind sie. Klar wird aber, dass sie sich explizit gegen das aussprechen, was sie unter Feminismus oder Gender Studies verstehen. Nur wenige, die ich anspreche, scheinen eine differenzierte Meinung zum Thema zu haben, nur ein einziger äußert sich kritisch über die eigene Szene.

Ich hoffe, dass ich einfach Pech habe und instinktiv die schlimmsten Leute angesprochen habe. Nach einiger Zeit gebe ich auf. Wer wissen will, welches Frauenbild die männlichen Besucher der Gamescom haben, muss sowieso nicht mit ihnen sprechen. Es reicht vollkommen, darauf zu achten, wie sie, auch die Promis der Szene, mit denen umgehen, die sie im Schlepptau haben, die ihnen im Weg stehen, oder wenn sie eine Frau oder ein Mädchen sehen, das sie »geil« finden. Was sie genau sagen, das braucht man nicht zu zitieren.

Stattdessen komme ich ins Gespräch mit einigen Cosplayerinnen. Cosplay, ein Kofferwort aus Costume und Play, ist der Versuch, einen Charakter, häufig aus einem Manga oder Anime, so genau wie möglich darzustellen, erklärt mir Nataša*, die ich in der Nähe des Cosplay Village auf der Messe treffe. Bereits seit vier Jahren betreibt sie das aufwendige Hobby, vor allem der Aspekt, sich die eigenen Kostüme selbst zu schneidern und zu perfektionieren, reizt sie. In der Tat sehen die meisten Cosplayer*innen aus, als seien sie gerade direkt aus dem Bildschirm gefallen, der Detailgrad ihrer Kostüme ist enorm hoch. Jedoch kenne ich nur wenige der dargestellten Charaktere.

Ich spreche im Laufe der ersten beiden Tage mit einigen Cosplayerinnen. Sie alle erzählen mir von den vielen großen und kleinen Freuden, die ihnen ihr Hobby bringt, den Freundschaften, den Erlebnissen. Und den Schattenseiten. Kaum eine von ihnen hat nicht mindestens eine Geschichte über sexuelle Übergriffe auf Messen wie dieser parat. Die Gamescom sei sogar besonders schlimm, erzählt mir Giulietta*. »Jedes Jahr wird es voller. Manchmal ist es unheimlich, durch die Massen zu laufen, weil man weiß, dass man auf jeden Fall begrapscht wird.« Männer machen dumme Sprüche, sie starren, sie machen heimlich Fotos beim Essen, umarmen und küssen Cosplayerinnen ungefragt und greifen im Schutz der Masse schamlos zu.

Direkte Abhilfe gibt es nicht, erzählen junge Frauen wie Giulietta*. Vielleicht stehen sie nicht im Fokus der Security. Bis jemand von den Verantwortlichen um Hilfe gefragt und geholt ist, sind die Täter meist verschwunden, wieder in der sicheren Masse untergetaucht. Ordentliche, sichtbare Strukturen für den Umgang mit sexuellen Übergriffen gibt es auf der Gamescom nicht. Awareness? Fehlanzeige. Hinzu kommt der traurige Umstand, dass viele Cosplayerinnen sich gar nicht trauen würden, Hilfe zu holen, aus Angst, abgestempelt zu werden. »Viele tragen sehr freizügige Kostüme, gemäß dem Charakter, den sie darstellen. Man hört so oft, dass man so ein Verhalten provoziert, bis man es am Ende selbst glaubt. Dabei verkaufen wir uns ja nicht, nur weil wir ein Kostüm anhaben«, sagt Giulietta. Hier haben die Veranstalter*innen der Gamescom wohl noch einiges nachzuholen.

Ähnliche Situationen erleben im Prinzip auch die gecasteten Models an den Ständen der Spieleentwickler in Köln. Sie werden von Agenturen bezahlt, in passenden Outfits Interessierte anzulocken. Sobald die große Masse in der Halle ist, werden auch sie zur Zielscheibe der Täter. Sie drängen sich den jungen Frauen auf, fotografieren sie und grapschen, nur: »Generell ist unsere einzige Regel, höflich zu bleiben. Wir sind angehalten, uns zu wehren, die Verantwortlichen der Agenturen und die Security ist immer in der Nähe, falls wir selbst nicht mit den Typen fertig werden.« Angelica* macht den Job schon seit einiger Zeit, kennt sich aus. Als Model hat man laut ihrer Aussage auf den Messen meistens weniger Probleme als die Frauen, die nicht im Fokus des Sicherheitskonzepts stehen. Man muss auch keine freizügig gekleidete Cosplayerin sein, um auf der Messe in seinem Wohlbefinden bedroht zu sein. Im Internet kursieren sogar Ratgeber, wie man die Gamescom möglichst ohne sexuelle Übergriffe erleben kann.

Das alles sind prinzipiell keine Phänomene, die spezifisch für die Gamerszene oder die Gamescom sind, aber der Umgang mit den Problemen, die schon seit Jahren bekannt sind, zeigt doch, wie unwichtig der Branche weibliche Spielerinnen, ja Kundinnen ihres 1,5 Milliarden Euro Marktes (in Deutschland) sind, wenn seit Jahren so wenig für die Verbesserung ihres Wohlbefindens getan wird. Wenn Männer sich ungestraft so verhalten können und Youtuber das Ganze auch noch aufnehmen und dafür noch Sponsorengelder kassieren. Die Szene hat ein strukturelles Problem mit Sexismus und muss dieses endlich angehen, damit die Gamescom nicht nur für weiße cis-Männer ein Ort der Freude ist. Denn es heißt doch: »Vielfalt gewinnt«.

* Namen von der Redaktion geändert

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