Von Geborgenheit und Zorn

Die Fotogalerie Friedrichshain zeigt in der Ausstellung »Kindheit geht vorüber und bleibt« Bilder dreier Fotografinnen, die das Wesen des Heranwachsens einfangen

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Von Tom Mustroph Kindheit ist nicht immer eine einfache Sache. Wie verloren sich Kinder zuweilen fühlen mögen, geht aus »Citykids«, einer eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Serie der früheren Bühnenbildnerin und Szenografin für Filmproduktionen Ann Lofy, hervor. Ein Junge starrt da auf einen Schweineschädel, der auf einer Tischplatte in Augenhöhe des Jungen liegt. Erschrecken, Skepsis und Neugier sind in seinen großen Augen zu erkennen. Ein angebissenes Brötchen liegt vor ihm; es führt eine Spur von unaufgeräumter Alltäglichkeit in die auf den ersten Blick hochdramatische Konstellation ein. Lofy zeigt dann zwar auch lachende Kinder, zwei Mädchen etwa, die ausgelassen auf die Kamera zuzufliegen scheinen, ein anderes, das mit großen Augen über einen Trinkbecher hinweg dem Betrachter mitten ins Herz zu schauen scheint. Dann aber wieder ist ein Junge zu sehen, der sich am Tisch vor einem Holzhaus im Grünen aufgebaut hat und mit Zorn im Blick aus seinem Kapuzenpulli hervorlugt.

Lofy, mittlerweile Professorin an der Kunstuni Graz, machte die Aufnahmen bei einem Landausflug von Stadtkindern.

Wirken bei Lofy die Kinder oft allein und nicht selten verschlossen, so hat ihre Kollegin Eva von Schirach sie in ihrer Serie »Das werde ich dir büßen« meist in Zweierkonstellationen dargestellt. Zwei Jungen ringen da auf dem Teppich miteinander. Während sie auf dem Bett liegen, landet prompt die rechte Faust des einen im Gesicht des anderen. Auch eine Papprolle taucht auf, mit der ein Bruder den anderen malträtiert. Besonders dynamisch ist die Abbildung der beiden, als sie rechts und links einer halb geöffneten Tür postiert sind und Druck auf die Tür ausüben, um ihren Gegner ins Zimmer zurückzuschieben. Von Schirach, Ethnologin von Hause aus und als Autorin und Dozentin auf das Thema Kinderrechte spezialisiert, lotet in diesen Bildern den schmalen Grat zwischen wildem Kinderspiel und dem Beginn von Gewalttätigkeit aus. Die klare, aus den frühen Stufen der Zivilisation stammende Regel scheint hier: Wie du mir, so ich dir.

Linn Schröder, die dritte Fotografin im Bunde und Mitglied der renommierten Agentur Ostkreuz, fängt hingegen vor allem Situationen des Behütet-Seins ein. Mal hält eine Mutter ihr offenbar erst wenige Wochen altes Kind, dann wieder sind zwei Geschwisterkinder im gleichen Outfit zu sehen, vor deren Füßen zwei Hunde als Beschützer lagern. Und selbst bei jenem Mädchen, das sich an einem großen Plüschtier festhält, ist noch die sachte über den Kopf streichelnde Hand eines Erwachsenen zu entdecken. In ihrer Serie »Ich denke auch Familienbilder« ist vor allem der inszenatorische Charakter von Familienbildern zu entdecken. Aufnahmen dieses Genres sollen besonderes Glück ausdrücken, dementsprechend werden die Protagonisten zu kleinen theatralen Anordnungen arrangiert. Die drei Serien ergänzen sich in ihrer je eigenen Motivlage sehr gut. Der wilde Drang der Rangen kommt zum Vorschein, Verletztheit und Verletzlichkeit, aber auch das sorgende Netz, das um sie gewebt wird.

Soziologische Schlüsse lassen sich aus der Ausstellung allerdings kaum ziehen. Dazu liegen zu wenige Informationen über die jeweiligen Aufnahmesituationen - wie Ort, Zeit und Kontext - vor. Weil Lofy und Schröder sich weitgehend für SchwarzWeiß-Fotografien entschieden haben, haftet ihren Serien etwas Überzeitliches an. Sie könnten kürzlich angefertigt sein, aber auch aus längst vergangenen Jahrzehnten stammen. Von Schirachs Motive der kämpfenden Kinder haben dagegen Augenblicksstatus; sie wirken wie in diesem Moment entstanden und ziehen die Betrachter unmittelbar in den Bildraum hinein.

Die drei Fotografinnen sind am 27. September zu einem Künstlerinnengespräch in der Ausstellung zugegen.

Bis 5. Oktober, Fotogalerie Friedrichshain, Helsingforser Platz 1

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal