Jack Rowen (Melbourne, 1951)

Unbekannte Bekannte

  • Walter Kaufmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Als die Erstfassung meines Romans »Stimmen im Sturm« vier Kladden füllte, war das Überbrückungsgeld der Armee aufgebraucht, auch meine Ersparnisse aus allen Gelegenheitsarbeiten. Das hieß, wir hatten uns mit Barbaras Gehalt bei Robertson & Mullens zu begnügen. Ich legte den Roman beiseite und besann mich auf die Arbeit, die ich als Soldat getan hatte - ich trat der Hafenarbeitergewerkschaft bei und bewarb mich als Ersatzschauermann, als sogenannter Floater, der nur eingesetzt wurde, wenn Not an Mann war - günstig für mich, weil es mich nicht gänzlich vom Schreiben trennte.

In Port Melbourne wurde ich einer Gang zugewiesen, die von einem erfahrenen Mann namens Jack Rowen geführt wurde. Der hatte schnell heraus, dass ich ungeübt war. Weil ich mir aber Mühe gab, hielt er sich mit Fragen zurück und sprach mich erst am dritten Tag an: »Say mate, what’s your real trade?« Ich bekannte mich zu den Gelegenheitsarbeiten und zu den Monaten des Schreibens an einem Roman. Er hörte sich an, was ich ihm über den Inhalt sagte, und wiegte den Kopf: »Them bloody Nazis«, meinte er am Ende. Wie weit ich mit dem Buch denn sei? Ich erklärte ihm, ich bräuchte für die zweite Fassung noch wenigsten drei Wochen. »Keine ratternden Winschen oder kreischenden Kräne, eh?« sagte er. Ich nickte.

Beim Schichtwechsel am folgenden Tag erzählte er von einer ausrangierten Straßenbahn, die er und seine Kumpel zu einer Laube umgebaut und mit einem Traktor in die Berge von Healesville geschleppt hätten. »Hafenlärm - nichts da!«. »Und wer macht hier meine Arbeit?« fragte ich. Er lachte. »Das packen wir«, sagte er, »mach du dein Buch«. Sein Angebot verschlug mir die Sprache; er merkte wie dankbar ich war. »Right-oh, then«, sagte er, entnahm seiner Tasche einen Schlüssel und einen Lageplan. »Zieh los und mach dir über uns keinen Kopf.«

Statt anderntags zur Hafenarbeit anzutreten, verschwand ich in die Berge von Healesville und tauchte ein in die Waldeinsamkeit. Es war sehr still dort, anders still als in meiner Kammer in Parkville. In den Zweigen der Eukalyptusbäume schrien die Vögel, nachts lachte der Kukaburra und durch die Blätter rauschte der Wind. Nur heimisch wurde ich dort nicht, obwohl mir an nichts fehlte, sich im Spind Konserven fanden, die Liege bequem war, es einen Sessel gab und einen Tisch zum Schreiben. Einsam wie ich mich fühlte, schaffte ich nichts. Die Vögel schrien, der Kukaburra lachte weiter - es war, als verhöhne er mich. Ich floh zurück nach Melbourne, und tat zu Hause, was ich in der Straßenbahn hätte tun sollen.

Jack Rowen und seine Gang sahen mich erwartungsvoll an, als ich mich drei Wochen später zurück meldete. »How did it go?« fragten sie. »Bestens«, sagte ich, »Keine ratternden Winsche, keine kreischenden Kräne. Perfect - absolutely!«

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.

Aus dem nd-Shop
Tankstelle für Verlierer
Gespräche mit Gerhard Gundermann. Eine Erinnerung Gundi Gundermann: ein Original des deutschen Ostens. Morgens dirigierte er den Bagger, ...
12.00 €