Ohne jede Mitsprache

Über die Teilung Koreas und spätere Annäherungsversuche

  • Rainer Werning
  • Lesedauer: 5 Min.

Kolonie, Teilung, Entfremdung, Krieg, anhaltende Feindschaft - das waren seit 1910 schmerzliche Eckpunkte der Politik auf der Koreanischen Halbinsel. Nicht etwa Japan widerfuhr in Ostasien als Kriegstreiber und Aggressor eine Teilung des Landes wie sein während des Zweiten Weltkriegs Verbündetes Nazi-Deutschland, sondern ausgerechnet seine Kolonie Korea. Die beiden Siegermächte, die USA und die Sowjetunion, teilten Korea ab 1945 ohne jedwede Mitsprache von Koreanern in zwei Einflusssphären untereinander auf, was sowohl im Norden wie im Süden der Halbinsel erbitterten Widerstand auslöste. Wie so häufig in seiner Geschichte, wurde Koreas geografische Lage dem Land zum Verhängnis. Eingekeilt zwischen den übermächtigen Nachbarn China und Sowjetunion und nur durch eine Meerenge vom besiegten Japan entfernt, wo die US-Streitkräfte das Sagen hatten, bildete die Koreanische Halbinsel im äußersten Südosten des asiatischen Kontinents gleichzeitig auch die Nahtstelle der beginnenden West-Ost-Blockkonfrontation. Diese gewann an Schärfe, nachdem Mao Tse Tung am 1. Oktober 1949 in Peking die Gründung der Volksrepublik China proklamiert hatte.

Was als Bürgerkrieg um die Vorherrschaft in ganz Korea begann, eskalierte zum ersten großen »heißen« Konflikt im Kalten Krieg. Im dreijährigen Koreakrieg (Juni 1950 bis Juli 1953), der über vier Millionen Menschen - hauptsächlich Zivilisten - das Leben kostete, standen dem südkoreanischen Regime unter Rhee Syngman die USA und ihnen unterstellte UN-Truppen aus 15 Staaten bei, während die nordkoreanischen Truppen unter Kim Il Sung Hunderttausende chinesische Freiwilliger und sowjetische Bomberpiloten unterstützten.

Es war ein Krieg der verbrannten Erde, in dem auch erstmalig flächendeckend Napalm versprüht wurde und bakteriologische Stoffe wie Milzbrand zum Einsatz kamen. »Ich würde sagen, dass die ganze, fast gesamte Halbinsel Korea ein einziger Schutthaufen ist«, erklärte im Unterton des Bedauerns bereits wenige Monate nach dem offiziellen Kriegsbeginn General Emmett (Spitzname »Rosie«) O’Donnell, Befehlshaber des US-Bombergeschwaders im Fernen Osten, und fügte hinzu: »Alles ist zerstört. Nichts Nennenswertes ist stehen geblieben. Kurz bevor die Chinesen in den Krieg eintraten, wurden von unseren Bombern keine Angriffe mehr geflogen. Es gab in Korea keine Ziele mehr.« In Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang war bei Kriegsende im Juli 1953 gerade mal ein halbes Dutzend Häuser unversehrt geblieben.

Lange bevor Südkorea als »Modell« einer nachholenden kapitalistischen Entwicklung international gepriesen wurde, war es die DVRK, die nach dem Koreakrieg hohe Wachstumsraten erzielte, den Wiederaufbau des Landes mit eigenen und ausländischen Mitteln (darunter auch seitens der DDR beim Wiederaufbau der Hafenstadt Hamhung) forcierte und seit 1960 in vielen gerade unabhängig gewordenen Staaten des Trikonts Faszination auslöste. Gleichzeitig setzte die mittlerweile politisch konsolidierte Nomenklatura um Kim Il Sung auf Äquidistanz zu Moskau und Peking und propagierte mit ihrem Dschutsche-Konzept den »Sozialismus in eigenen Farben« sowie einen wachsenden Personenkult um den »Großen Führer«. In diesem Prozess kam es zu politischen Säuberungen und späteren Menschenrechtsverletzungen. Für die Beständigkeit des Regimes sprach eine austarierte Machtbalance dreier Führungsschichten - bestehend aus alten Kampfgenossen Kims während des antijapanischen Widerstandskampfes, in den realsozialistischen Ländern geschulte Fachkräfte sowie autochthone Kader als Absolventen der Pjöngjanger Kim Il Sung-Universität.

Erst seit 1972 kam es zu drei innerkoreanischen Avancen, die allerdings aufgrund außenpolitischer Konstellationen beziehungsweise direkter Intervention seitens der USA vereitelt wurden: die »Gemeinsame Süd-Nord-Erklärung über die friedliche nationale Wiedervereinigung« vom 4. Juli 1972; das um die Jahreswende 1991/1992 zwischen Seoul und Pjöngjang ausgehandelte »Abkommen über Aussöhnung, Nichtaggression, Austausch und Kooperation« und die »Gemeinsame Erklärung zur Denuklearisierung der Koreanischen Halbinsel« sowie die anlässlich des ersten innerkoreanischen Gipfeltreffens in Pjöngjang von beiden Staatschefs, Kim Dae Jung und Kim Jong Il (Vater von Kim Jong Un), am 15. Juni 2000 vereinbarte »Nord-Süd-Deklaration«. Möglich geworden war dieser Gipfel nach dem Amtsantritt Kim Dae Jungs in Südkorea im Februar 1998, der vis-à-vis dem Norden eine »Sonnenscheinpolitik« verfolgte.

Den Höhepunkt dieser Politik bildete der Besuch von US-Außenministerin Madeleine Albright in Pjöngjang am 23. und 24. Oktober 2000. Höchst ungewöhnlich auch die Szenen zwei Wochen zuvor. Da hatte US-Präsident Bill Clinton mit dem 72-jährigen Vizemarschall Jo Myong Rok, den Sondergesandten Kim Jong Ils und die damalige Nummer Zwei in Nordkorea, im Oval Office im Weißen Haus willkommen geheißen. Bei der Gelegenheit überreichte Vizemarschall Jo dem Gastgeber einen Brief von Kim mit einer Einladung zum Besuch in Pjöngjang. Dann teilte er Clinton mit: »Wenn Sie nach Pjöngjang kommen, wird Ihnen Kim Jong Il garantieren, alle Ihre Sicherheitsbedürfnisse zu befriedigen.«

Mit Beginn der Amtszeit von US-Präsident George W. Bush Anfang 2001 war all das Schall und Rauch. Der kanzelte den innerkoreanischen Dialog kurzerhand als »naiv« ab und verortete Nordkorea im Januar 2002 als Teil einer »Achse des Bösen«.

Ohne die von Südkoreas Präsident Moon Jae In reaktivierte »Sonnenscheinpolitik« wäre eine um die Jahreswende 2017/18 eingeleitete vierte Nord-Süd-Annäherung nicht zustande gekommen. Hardlinern in Seoul wie Washington ist dieser Kurs ein Dorn im Auge, so dass vor allem US-Verteidigungsminister James N. Mattis und Trumps Nationaler Sicherheitsberater, John R. Bolton, im Verein mit solchen Medien wie NBC News, CNN und The Wall Street Journal im Umgang mit Pjöngjang strikt auf der starren CVID-Position (comprehensive, verifiable, irreversible denuclearization - umfassende, verifizierbare, unumkehrbare Denuklearisierung) beharren. Das allerdings kann bestenfalls das Resultat, nicht aber die Vorbedingung eines langwierigen Verhandlungsprozesses sein.

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