Ein Leben für die Revolution

Von Dichtern, Funktionären und der Faszination der Avantgarde

  • Lesedauer: 3 Min.

Er wurde als drittes Kind eines Försters in einem georgischen Dorf geboren, das später jahrzehntelang seinen Namen trug. Mit neun siedelte er in die Stadt über und besuchte das Gymnasium. Von Beginn an war er ein herausragender Schüler und erhielt fast immer beste Noten. Er las viel, vor allem Reiseberichte, Naturschilderungen und fantastische Geschichten. Doch bald schon fesselten ihn die Ereignisse des realen Lebens mehr als jedes Buch. Er wurde in einen marxistischen Zirkel eingeführt und nahm an politischen Demonstrationen und Versammlungen teil.

Als er 13 war, starb sein Vater an den Folgen einer Blutvergiftung. Die Familie zog daraufhin nach Moskau, wo seine Schwester studierte. Die Lebensverhältnisse seien dort kümmerlich gewesen, schrieb er in seiner Autobiografie. »Mutter muss Mieter und Kostgänger aufnehmen. Elende Zimmer. Es wohnen arme Studenten darin, Sozialisten.« Aufs Gymnasium ging er weiterhin, doch als seine Mutter das nötige Geld dafür nicht mehr aufbringen konnte, musste er die Schule verlassen.

Mit 15 wurde er Mitglied des bolschewistischen Flügels der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands. Besonders gern übernahm er agitatorische Aufgaben. Hierbei geriet er in eine Falle der Polizei und wurde verhaftet. Doch er hatte Glück. Wegen seines jungen Alters blieb ihm eine Deportation nach Sibirien erspart. Im Gefängnis begann er, Gedichte zu schreiben, die ihm jedoch von den Aufsehern abgenommen wurden. Nach seiner Entlassung aus der Haft nahm er an der Kunstfachschule ein Studium der Malerei auf. Zudem fand er Anschluss an eine futuristische Gruppe, deren Mitglieder sich gegen das Überkommene in der Kunst wandten und versuchten, neue Wege in der Ästhetik zu beschreiten. In dem Almanach »Eine Ohrfeige für den öffentlichen Geschmack« erhielt er endlich Gelegenheit, seine Gedichte zu veröffentlichen, die sich in der Folge immer schärfer gegen die herrschenden Verhältnisse richteten.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde er als unzuverlässiges Element vom Militär abgewiesen. Er ließ sich daraufhin in Petrograd nieder und arbeitete vorübergehend in einer Fahrschule. Nach dem Sieg der Revolution kehrte er nach Moskau zurück und unterstützte enthusiastisch das neue politische System. Er rezitierte Gedichte vor Matrosen und entwarf satirisch-agitatorische Plakate für eine Nachrichtenagentur. Außerdem fuhr er quer durchs Land, um die Massen für den Sozialismus zu begeistern. Zigtausende besuchten seine Lesungen; dennoch dürfte vielen der Sinn seiner Texte verschlossen geblieben sein. Besonders verehrte er Lenin, der allerdings den jungen Dichter anfangs nicht schätzte und erst später - unter dem Einfluss seiner Frau Nadeshda Krupskaja - sein Urteil teilweise revidierte.

In den 20er Jahren unternahm der von uns Gesuchte mehrere Reisen ins westliche Ausland. Vorab hatte er die Order erhalten, jeglichen Kontakt mit politischen Emigranten aus Russland zu vermeiden. Am Bauhaus in Weimar traf er mit Wassili Kandinsky zusammen. In Paris begegnete er Igor Strawinsky und Jean Cocteau. Bei einem Aufenthalt in den USA hatte er eine Affäre mit einer Schauspielerin, aus der eine Tochter hervorging, von der die Öffentlichkeit lange nichts erfuhr.

Als er in die Sowjetunion zurückkehrte, war die Zeit avantgardistischer Experimente vorbei. Seine Stücke, in denen er unter anderem die fortschreitende Bürokratisierung der Gesellschaft kritisierte, galten vielen Funktionären nun als subversiv. Ein neues Auslandsvisum wurde ihm verweigert. Hinzu kam eine unglückliche Liebe, die ihn vollends verzweifeln und zur Pistole greifen ließ. Als er sich damit ins Herz schoss, war er 37 Jahre alt. »Bin quitt mit dem Leben«, schrieb er in einem zurückgelassenen Brief. »Gebt niemandem die Schuld, dass ich sterbe, und bitte keine Gerede. Der Verstorbene hat das ganz und gar nicht gemocht.« Wer war’s?

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