• Kultur
  • Frauen in Afghanistan

»Malika«, das heißt Königin

Nadia Hashimis Roman »Das Licht von vierzig Monden«

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 4 Min.

Die in New York lebende Schriftstellerin Nadia Hashimi umkreist mit ihren Romanen die rechtlose Situation der Frauen in Afghanistan, eine Welt, die von der unsrigen so weit entfernt zu sein scheint wie der Mond von der Erde.

Der Rat mag ungewöhnlich erscheinen, aber man werfe vor der Lektüre ihres neuen Romans erst einmal einen Blick in das angefügte Glossar afghanischer Begriffe, um diese verschleierte und verdunkelte Frauenwelt im »Land des Lehms und der Berge«, wie es einmal im Buch heißt - und damit auch die mitunter befremdenden Schilderungen dieser Tragödie - zu begreifen: das Wort

»Baad« findet man da gleich am Anfang. Baad ist »die Praxis des Verschenkens eines jungfräulichen Mädchens zur Schlichtung eines Konflikts zwischen Familien«. »Zina«, Geschlechtsverkehr zwischen nicht verheirateten Menschen, spielt im Roman mehrfach eine Rolle, denn im »Chil Mahtab«, dem Frauengefängnis »Vierzig Monde«, das wir noch zur Genüge kennenlernen werden, sitzen junge Frauen, die (oft zu Unrecht) wegen »Zina« verleumdet worden sind und, deshalb der Name des Gefängnisses, mindestens vierzig Monde dort verbringen müssen, wenn nicht länger. Aber auch Hexenkunst und schwarze Magie einer »Jadugar« oder das Ansehen eines »Murshid«, eines Weisen, gehören in diese befremdende Welt und verleihen dem Roman eine Exotik, mit der die Autorin die Romanhandlung unterfüttert.

Zeba, die Protagonistin des Romans, ist eine Frau Ende dreißig und Mutter von vier Kindern, einem sechzehnjährigen Sohn und dreier Mädchen, das jüngste ist noch ein Baby. Sie stammt aus der Familie eines angesehenen Heilers. Mit siebzehn ist sie durch einen Kontrakt der Großväter mit Kamal verheiratet worden. Das war nicht ungewöhnlich, und die Ehe begann ganz normal und glücklich, bis Kamal sich veränderte. Er verfiel dem Trinker-Teufel, wurde aggressiv, schlug und brachte kein Geld nach Hause. Zeba zog sich in ihre kleine, enge Familienwelt zurück. Doch dieses ruhige Leben nimmt plötzlich eine furchtbare Wendung. Im Innenhof ihres Hauses wird Kamal tot aufgefunden, brutal von einer Axt erschlagen, und Zeba steht mit blutverschmierten Händen neben ihm. Die Kinder, die Nachbarn sind entsetzt, aber sie können Zeba kein Wort über das Vorgefallene entlocken. Sie schweigt hartnäckig, und sie wird auch weiterhin im Gefängnis und bei den Verhören schweigen. Agha Hakimi, der Polizeichef des kleinen Ortes, lässt Zeba in das Hauptstadtgefängnis der Provinz überführen. Hier im sogenannten Chil Mahtab, wo die meisten Frauen wegen moralischer Vergehen einsitzen, ist Zebas Fall eine Sensation. Eine vermeintliche Mörderin hat noch keine der Frauen gesehen.

Ist Zeba wirklich eine kaltblütige Mörderin? Ihr Anwalt Yussuv, ein ehrgeiziger junger Mann, der in Amerika studiert hat und hier in Afghanistan freiwillig für eine Rechtshilfe-Organisation arbeitet, glaubt das nicht und versucht mit allen möglichem Mitteln, die Wahrheit herauszufinden und Zebas Unschuld zu beweisen, scheitert aber ständig an neuen Fakten, die gegen Zeba sprechen.

Der Blick richtet sich auf das Gefängnis, die Frauen darin und ihre »Vergehen«. Die junge, schwangere Mezghan hat als einzige die Chance, noch auf eine glückliche Lösung ihres Falles zu hoffen. Latifa ist vor der Gewalt ihrer eigenen Familie geflohen und wird hier besser als draußen behandelt, so dass das Gefängnis einen gewissen Schutz für sie bildet, und Nafisa droht bei ihrer Freilassung sogar ein Ehrenmord. Während sich die Schlinge um Zebas Hals immer weiter zuzieht und ein Todesurteil unabwendbar scheint, wird sie im Gefängnis für die Frauen durch ihre vermeintlichen magischen Kräfte zu einer Hoffnungsträgerin. Ja, die Frauen brauchen eine solche Lichtgestalt, und sie machen Zeba zu ihrer »Malika«, das heißt »Königin«. Wir Leser warten wie ihr Verteidiger mit Spannung auf den Richterspruch.

Nadia Hashimis Roman-Titel weist, wie schon ihre vorigen (»Hinter dem Regenbogen« und »Wenn die Nacht am hellsten ist«) auf ein Licht am Ende des Tunnels. Auch wenn es nur das Licht des Mondes oder von vierzig Monden ist.

Nadia Hashimi: Das Licht von vierzig Monden. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Britta Evert. Bastei Lübbe, 528 S., geb., 24 €.

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