Schlechte Performance

Lieferando galt bislang als positiveres Beispiel der Branche, nun erhebt die Gewerkschaft schwere Vorwürfe

  • Dennis Pesch
  • Lesedauer: 6 Min.

Keno Böhme war gerade drei Tage im Urlaub, als am 16. August Post von Lieferando im Briefkasten lag. »Hiermit kündigen wir Ihnen das zwischen uns bestehende Arbeitsverhältnis«, heißt es darin. Einen Grund nannte das Unternehmen, das seit 2014 zum niederländischen und europaweit agierenden Lieferservice Takeaway.com gehört, zunächst nicht. So ähnlich erging es auch Manuel, der nicht wirklich so heißt, aber anonym bleiben möchte. Er erhielt Ende August eine Abmahnung wegen einer angeblichen Arbeitsverweigerung, nur einen Tag später flatterte auch bei ihm die Kündigung ein.

Seit März arbeiteten die beiden Kölner für Lieferando und setzten sich für die Belange ihrer Kollegen ein. Böhme ist auch bei der Initiative »Liefern am Limit« aktiv, die sich für die Rechte von Kurierfahrern engagiert, Manuel bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), was Lieferando jeweils bekannt war. Das Verhältnis zwischen Lieferando und der Initiative sowie der NGG war bislang betont kooperativ. Anders als Deliveroo hat sich Lieferando bisher als besserer Kooperationspartner für Beschwerden von Kurieren erwiesen. Das Unternehmen stellt schon länger Arbeitskleidung für jede Jahreszeit zur Verfügung und ist auch mit den E-Bikes die Ausnahme. Bei Foodora und Deliveroo fahren die Kuriere mit ihren eigenen Fahrrädern. Das Verhältnis zwischen der Gewerkschaft und Lieferando ist trotzdem nicht sozialpartnerschaftlich. Betriebsräte würden »grundsätzlich nicht zu unserer Kultur als junges, sowie modernes und offenes Unternehmen« passen, erklärte Lieferando Anfang März der »Süddeutschen Zeitung«.

Und dennoch: Auf Beschwerden der Arbeitnehmervertreter reagierte Lieferando meistens, sagt auch Böhme: »Lieferando tut was, wenn man sie auf Fehler hinweist.« Einer der ersten Erfolge sei die Erhöhung des Kilometergeldes gewesen. Sie hatten Lieferando auf eine Gesetzesänderung aufmerksam gemacht, wonach der Bund die Kilometerpauschale auch für motorisierte Fahrräder von 13 auf 20 Cent erhöht hatte. Blieb die Kommunikation ohne Ergebnis, machte »Liefern am Limit« die Vorfälle öffentlich. Spätestens dann lenkte Lieferando ein, etwa als sie das Pfand eines Fahrers einbehalten hatten.

Doch das Verhältnis bröckelt. »Meiner Meinung nach hat die Kündigung mit meinem gewerkschaftlichen Engagement zu tun«, sagt Böhme. Er hatte in den vergangenen Monaten die Beschwerden mehrerer Kuriere an Lieferando herangetragen, die Probleme mit den E-Bikes beklagten. Mindestens neun kleinere und größere Unfälle gab es von Mitte Juni bis Ende August, fast alle bei Nässe. Videos, die dem »nd« vorliegen, zeigen, wie das Vorderrad der E-Bikes bei Nässe durchdreht und die Lenker nach links oder rechts ausbrechen. Auf Gullideckeln rutsche man zwangsläufig aus, heißt es in einem Chat-Protokoll, das »nd« ebenfalls bekannt ist. »Es war das erste Mal, dass es ein Problem gab, das nicht gesetzlich geregelt ist. Da hörte der gute Wille auf«, sagt Böhme. Auch Manuel berichtet von Problemen mit den E-Bikes. »Die geben sie mit losen Bremsen aus, die man bis zum Griff anziehen kann. Das habe ich dann auch angesprochen«, sagt er.

Lieferando hält dagegen. Die E-Bikes seien vom TÜV und einem Meister geprüft und würden auch von einem Meister instand gehalten, so Pressesprecher Joris Wilton gegenüber »nd«. Die Probleme, die die Initiative an Lieferando berichteten, seien überprüft worden. »Mit den Fahrrädern ist alles in Ordnung«, sagt er. Probleme schiebt Lieferando auf den Umgang der Kuriere: »Es kann passieren, dass die Kuriere die Fahrräder nicht immer anständig behandeln«. Gibt es ein Problem, werde es auch behoben, so Wilton.

Zwei Wochen vor seiner Kündigung erhielt Böhme auf seine Beschwerden wegen der E-Bikes eine E-Mail und einen Anruf von Mark Deumer, Global Director Operations, also einem der Betriebsleiter von Takeaway.com. Dabei soll ein Thema neben den Problemen mit den E-Bikes auch die Kooperation von »Liefern am Limit« und Lieferando gewesen sein. Seine spätere Kündigung sieht Böhme durchaus als Attacke auf die Mitbestimmung. Offiziell wurde Böhme nach einer Nachfrage an Deumer wegen seiner »Performance« gekündigt, wie auch Takeaway-Pressesprecher Wilton erklärt. Das bisherige Verhältnis zu der Initiative sei davon nicht beeinträchtigt.

Doch die Begründung ist fadenscheinig. Vier mal innerhalb von sechs Monaten ist Böhme zu spät gekommen: Zwei mal fünf Minuten, einmal zehn Minuten und ein mal 15 Minuten. Deshalb hat er vom City-Koordinator in Köln auch eine E-Mail und Ermahnung erhalten. Eine Abmahnung soll es nicht gegeben haben. Die Pressestelle von Takeaway erklärte dem »nd« sogar, dass es keine Kündigung gegeben haben soll. »Wir haben nur den Vertrag nicht verlängert, weil die Leistung nicht entsprechend war«, sagt Wilton. Die Kündigung, die dem »nd« vorliegt, zeigt allerdings, dass es neben der ersten vom 16. August noch eine zweite Kündigung am 31. August an Böhme gab. Weiter will sich das Unternehmen nicht zu den Beschäftigungsverhältnissen äußern.

Bei der Kündigung des Gewerkschafters Manuel gibt es ebenfalls Widersprüche. Demnach soll er eine Lieferung verweigert haben - er bestreitet das. Der Akku seines E-Bikes sei leer gewesen, weshalb man zurück zum Büro muss, um sich einen neuen zu holen. Ein normaler Vorgang, wie auch andere Kuriere in Köln dem »nd« bestätigen. Trotzdem sei ein weiterer Lieferauftrag reingekommen. Den hätte Manuel auch ausgefahren, wenn nicht ein Arbeitskollege auf Angebot des Schichtleiters hin die Lieferung übernommen hätte. Ein anwesender Fahrer kann das bestätigen.

Trotzdem erhielt Manuel eine Abmahnung. »Mit mir wurde nie das Gespräch über den Fall gesucht. Die haben mir eine Abmahnung geschickt und dann direkt die Kündigung«, sagt er. Drei Tage danach sollte eigentlich sein Urlaub beginnen. Nun belasten ihn Existenzängste. »Das bringt mich in eine prekäre Situation. Meinen Urlaub kann ich jetzt nicht genießen, weil ich mich mit dem Jobcenter auseinander setzen muss. Eigentlich wollte ich ja chillen«, sagt er. Trotzdem will er am Ball bleiben: »So kann man sich als Arbeitnehmer nicht behandeln lassen.«

Lieferando hingegen will in den Beschwerden der Kuriere in Köln nur Einzelfälle sehen. Zwar begrüße man das Engagement von »Liefern am Limit«, repräsentativ seien die Probleme der Kuriere aber nicht. »Wir beschäftigen 3000 Kuriere und die meisten sind sehr zufrieden«, erklärt Pressesprecher Wilton. NGG-Gewerkschaftssekretärin Laura Schimmel sieht nach den Kündigungen ihrer Mitstreiter die bisherige Kooperation mit Lieferando einseitig aufgekündigt. »Wir haben mit Lieferando Absprachen treffen können, aber es gab natürlich trotzdem Probleme, zum Beispiel haben wir nach wie vor keine betriebliche Mitbestimmung«, sagt sie. Darin sieht sie auch einen Auftrag als Gewerkschaft, noch aktiver zu werden.

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