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Antifeminist*innen nehmen das Bundesverfassungsgericht ins Visier
Personaldebatte um Brosius-Gersdorf: Juristische Qualifikation versus politische Kampagnen
Im ersten und zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts müssen demnächst drei Stellen neu besetzt werden. Am 10. Juli 2025 sollen die Wahlen im Bundestagsplenum stattfinden. Wegen einer Personalie sind Antifeminist*innen – allen voran Abtreibungsgegner*innen – in heller Aufregung.
Es geht um die von der SPD vorgeschlagene Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf, die 2023 und 2024 stellvertretende Koordinatorin der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission für eine Teillegalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen war und dort das Kapitel »Verfassungsrechtlicher Rahmen« verantwortete. Sie kam zu dem Ergebnis, dass eine Entkriminalisierung von Abtreibung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen möglich ist. Fachlich sei die Juristin, die zurzeit in Potsdam lehrt, zwar unangreifbar, doch zunächst machten die Christdemokraten für das Leben (CDL), eine unionsnahe Lobbygruppe, und anschließend die Jugend für das Leben, der Jugendverband des Vereins Aktion Lebensrecht für alle (Alfa), Stimmung gegen sie. Brosius-Gersdorf wäre als Bundesrichterin eine Gefahr für das ungeborene Leben, so die Jungen Christdemokraten für das Leben auf ihrem Instagram-Account. Mittlerweile sind weitere Akteur*innen von rechts und ganz weit rechts in die Kampagne gegen die anerkannte Juristin eingestiegen. Die AfD, (extrem) rechte Publikationen wie »Die Weltwoche« und die »Junge Freiheit« sowie weitere Abtreibungsgegner*innen und ihre medialen Echokammern sind auf den Zug aufgesprungen. Und die Stimmungsmache von (extrem) rechts scheint zu wirken: In der Union gibt es bereits einzelne Stimmen, die Brosius-Gersdorf für unwählbar erklären.
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Es ist der klassische Move, der sich seit einigen Jahren innerhalb antifeministischer Bewegungen bewährt hat: Petitionen und massenhafte E-Mails an Abgeordnete sollen progressive und emanzipatorische Entwicklungen hemmen oder verhindern. Diese Art der Lobbyarbeit gehört zu einer von mehreren Methoden die antifeministische Akteur*innen anwenden, um politische Entscheidungen zu beeinflussen.
Im vergangenen Jahr berichteten NDR und BR darüber, dass es bei Alfa nicht mit rechten Dingen zugehen könnte – der Verein lobbyiere möglicherweise am Lobbyregister vorbei. Ausgerechnet diejenigen, die von »Abtreibungslobbys« fabulieren, hielten sich selbst nicht an geltende Regeln.
Seit Ende Februar 2025 ist der Verein mit Sitz in Augsburg tatsächlich im Lobbyregister des Deutschen Bundestags aufgeführt und veröffentlicht einige zusätzliche Informationen über seine Arbeit. Er gibt an, zwischen einem und 10 000 Euro für Interessensvertretung aufzuwenden und tatsächlich gegen die Teillegalisierung von Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs lobbyiert zu haben. Im Jahr 2024 habe er zwischen 790 001 und 800 000 Euro an Zuwendungen oder Schenkungen erhalten. Woher dieses Geld stammt, bleibt weiterhin im Dunkeln – die Mitgliedsbeiträge des Vereins oder Zuschüsse der eigens gegründeten Stiftung machen nur einen Bruchteil der Einnahmen aus. Zudem widersprechen sich die Angaben aus dem Jahresbericht und diejenigen im Lobbyregister – Transparenz sieht anders aus.
Die Vorgänge rund um die mögliche Wahl progressiver Stimmen wie Brosius-Gersdorf zeigen, dass antifeministische Allianzen sehr genau wissen, wo sie ihre Kräfte bündeln müssen. Die USA haben es vorgemacht: Dort wurde der Supreme Court, das höchste Gericht, gezielt mit Personen besetzt, die bei geschlechterpolitischen Fragen im Sinne dieser Bewegungen entscheiden. Und dann begann im Juni 2022 das, was Expert*innen als eine Faschisierung der US-amerikanischen Gesellschaft bezeichneten.
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