Die Sorgenfalten des Volker Bouffier

Hessens CDU-Regierungschef greift die AfD verbal an. Um an der Macht zu bleiben, braucht er andere Partner

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.

Gut sechs Wochen vor der hessischen Landtagswahl steigt bei der regierenden CDU die Nervosität. Denn die seit fast 20 Jahren im Land tonangebende Partei rangiert nach einer aktuellen Umfrage des INSA-Instituts derzeit bei nur 29 Prozent.

Sollte sich diese demoskopische Momentaufnahme bei der Wahl am 28. Oktober bestätigen, so wäre dies für die CDU ein empfindlicher Tiefschlag. Einen Wert unter 30 Prozent hatte die Hessen-CDU zuletzt 1966 erzielt, als sie auf magere 26,4 Prozent kam. Von 1970 bis zur Jahrtausendwende war für sie die 39-Prozent-Marke eine Untergrenze. 2003 errang sie mit 48,8 Prozent sogar die absolute Mehrheit in einem Land, das jahrzehntelang SPD-geführt war.

Sorge stand CDU-Regierungschef Volker Bouffier ins Gesicht geschrieben, als er dieser Tage im Landtagsplenum eine Regierungserklärung unter dem Titel »Die Gesellschaft zusammenhalten - für ein starkes, lebenswertes Hessen« abgab. In einer für Funktionäre der konservativen Hessen-CDU ungewohnt deutlichen Art und Weise appellierte Bouffier an die »Gemeinsamkeit der Demokraten« bei der Integration von Flüchtlingen und prangerte die AfD als »Gefahr für Deutschland« an.

Die rechte Partei hatte jüngst durch einen Facebook-Post ihrer Kreistagsfraktion im Hochtaunuskreis Aufsehen erregt. »Bei uns bekannten Revolutionen wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Pressehäuser gestürmt und die Mitarbeiter auf die Straße gezerrt - darüber sollten die Medienvertreter hierzulande einmal nachdenken, denn wenn die Stimmung endgültig kippt, ist es zu spät«, lautete der Eintrag, der landesweit Empörung auslöste. Dies und die Aussage des AfD-Chefs Alexander Gauland, das NS-Regime sei »nur ein Vogelschiss« der deutschen Geschichte, seien völlig inakzeptabel, so Bouffier. »Wir müssen gemeinsam klarmachen, wo die Grenzen verlaufen«, appellierte er an alle Fraktionen und dankte insbesondere der oppositionellen SPD für ihr Engagement. »Warum distanzieren Sie sich nicht vom Bundesinnenminister, der die Migration als ›Mutter aller Probleme‹ bezeichnet hat?«, wollte Linksfraktionschefin Janine Wissler von Bouffier wissen.

Derweil verfolgten hessische AfD-Führer auf den Besucherrängen grinsend die Debatte. INSA traut der Partei 14 Prozent zu. Dies könnte vor allem auch zulasten der CDU gehen. Die AfD hat in Hessen viele namhafte Ex-CDU-Funktionäre aufgefangen. So saß Gauland als Chef der Staatskanzlei von 1987 bis 1991 am Kabinettstisch dem damaligen Justizstaatssekretär Volker Bouffier direkt gegenüber.

Die CDU hatte seit ihrem Überraschungssieg 1999 unter Bouffiers Vorgänger Roland Koch das Land im konservativen und neoliberalen Sinn umgekrempelt. Koch hatte von einem Besuch in den USA Ideen für einen Arbeitszwang bei Sozialhilfebezug mitgebracht und war im Bundesrat ein Hardliner beim Tauziehen um die Hartz-Reformen. Mit einem massiven Sparpaket im Sozialbereich, dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband Tarifgemeinschaft der Länder (TdL), der bundesweit einmaligen Privatisierung eines Universitätsklinikums und der Einführung von Studiengebühren setzte er ab 2003 Zeichen. Dies rief auch Proteste hervor und drückte die CDU seit 2008 wieder deutlich unter die 40-Prozent-Marke. 2013 verwarfen die Grünen das Angebot einer Kooperation mit SPD und LINKEN und bewahrten mit dem schwarz-grünen Bündnis Bouffiers CDU vor dem Verlust aller Regierungsämter.

Die Ex-Öko-Partei liegt nun bei 14 Prozent. Für eine Koalition mit der CDU dürfte es nicht mehr reichen. Ob die auf sieben Prozent geschätzte FDP für ein Jamaika-Bündnis bereitsteht, muss sich zeigen. Dass Bouffier die SPD lobte, dürfte dem Kalkül geschuldet sein, dass er möglicherweise auf sie angewiesen sein könnte. SPD-Spitzenmann Thorsten Schäfer-Gümbel lässt sich seinen Frust über die 24-Prozent-Prognose nicht anmerken und hofft auf eine Aufholjagd mit Themen wie Wohnungsbau, Bildung und Verkehr, die vielen Menschen auf den Nägeln brennen und in Bouffiers Regierungserklärung nicht vorkamen. Die LINKE könnte laut INSA mit rund acht Prozent gestärkt wieder in den Landtag einziehen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal