Sächsische Opferverbände und Initiativen zur NS-Zeit bündeln ihre Kräfte

Die Gründung einer Landesarbeitsgemeinschaft soll Defizite in der Arbeit der Gedenkstättenstiftung des Freistaats kompensieren helfen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Sachsen ist von der Landkarte verschwunden - zumindest, wenn es um die Erinnerungskultur geht. Die dortigen Gedenkstätten, die sie tragenden Projekte und nicht zuletzt die Gedenkstättenstiftung des Landes seien bei Kongressen und Kolloquien »nicht dabei«, sagte Jörg Morré, Leiter des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst, im November 2017 bei einer Anhörung in Sachsens Landtag: »Sie sind in der bundesweiten Wahrnehmung leider verschwunden.« Und im Freistaat selbst wird zu Tagungen oder zu Fachtagen praktisch auch seit Jahren nicht mehr eingeladen.

Opferverbände und Initiativen zur Aufarbeitung der NS-Zeit wollen jetzt Voraussetzungen schaffen, dass sich das ändert. Sie gründen am Dienstag in Frankenberg eine »Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Auseinandersetzung mit dem NS«. Anstoß dazu gab eine erinnerungspolitische Tagung im Herbst in Dresden. Ein Ziel der LAG: Mitwirkung in einem bundesweiten »Forum der LAG der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen«, in dem ähnliche Zusammenschlüsse aus zehn Bundesländern mitarbeiten.

Eigentlich wäre die Einbindung der sächsischen Gedenkorte und Initiativen in nationale Debatten eine wichtige Aufgabe der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Dieser wird sie aber nicht gerecht, sagt Claudia Maicher, Landtagsabgeordnete der Grünen. Die Stiftung sei »in fünf Jahren nur an einer Fachtagung beteiligt« gewesen. Und nicht nur in diesem Bereich sei die Unterstützung der Initiativen vor allem zur NS-Zeit mangelhaft. Sie würden auch »nicht genug beraten« zu Projektanträgen und zur Beantragung von Fördermitteln, sagt Maicher. Sie hatte schon 2016 per Anfrage ein Ungleichgewicht bei der Projektförderung für Initiativen zur Zeit vor und nach 1945 offengelegt.

Das besteht weiter, sagt ihr Landtagskollege Franz Sodann (LINKE). Zuletzt, so ergab eine von ihm gestellte Anfrage, seien 75 Prozent der Projektmittel für Projekte zur SBZ- und DDR-Zeit vergeben worden und nur 25 Prozent für solche zur Zeit vor 1945. »Eine klare Schieflage«, sagt Sodann. Die Stiftung zog sich in dem Streit auf die Position zurück, es würden nicht genug Anträge gestellt; sie hilft den kleinen ehrenamtlichen Initiativen dabei aber auch kaum.

Die wollen sich angesichts dessen nun selbst gegenseitig helfen und dazu ihr Fachwissen bündeln. Zu den künftigen Mitgliedern sollen Verbände wie der VVN-BdA gehören, die Fördervereine der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain und der für Zwangsarbeit in Leipzig, das Kulturbüro Sachsen, das Erich-Zeigner-Haus Leipzig und der Treibhaus e.V. in Döbeln, die Geschichtswerkstatt Sachsenburg und die Evangelische Hochschule in Dresden. Idealerweise, heißt es, solle die LAG eine Geschäftsstelle erhalten, in der sich zumindest ein Mitarbeiter im Hauptjob um die Themen kümmern kann. Allerdings müsste das nötige Geld von der Stiftung bewilligt werden, wofür in deren Gremien viel Überzeugungsarbeit notwendig sein dürfte. Aus der Landespolitik kommt Rückhalt. Sie hoffe auf »größere öffentliche Sichtbarkeit« der Initiativen zur NS-Zeit, sagt Claudia Maicher. Diesen, ergänzt Sodann, sei es in Sachsen schließlich »nicht immer einfach gemacht« worden.

Das ist diplomatisch formuliert. Es gab Zeiten, als maßgebliche Verbände wie der Zentralrat der Juden und der VVN sich aus der Stiftung gänzlich verabschiedet hatten. Auslöser war das sächsische Gedenkstättengesetz von 2003, dem man vorwarf, NS-Verbrechen und DDR-Unrecht auf eine Stufe zu stellen und erstere so zu relativieren. Der Streit wurde erst 2012 nach einer Novellierung des Gesetzes beigelegt; die Verbände kehrten in die Stiftungsgremien zurück.

Allerdings gibt es weiter Konflikte um die Ausrichtung der Stiftungsarbeit und Vorwürfe, sie kümmere sich stärker um die Zeit nach 1945 als um die NS-Zeit. Vielfach kocht der Streit an Orten mit so genannter doppelter Vergangenheit hoch. So stellte vor einiger Zeit der Verband der Opfer der Wehrmachtsjustiz die Mitarbeit an der Erarbeitung einer neuen Dauerausstellung im Dokumentations- und Informationszentrum DIZ Torgau ein, der er eine falsche Gewichtung vorwarf. In Bautzen wurde viele Jahre lang beklagt, man konzentriere sich einseitig auf die SBZ- und DDR-Geschichte des dortigen Gefängnisses und blende die NS-Zeit aus. Nach immer neuen Verzögerungen wird die entsprechende Dauerausstellung nun diesen Mittwoch endlich eröffnet.

In Frankenberg, wo sich die LAG gründet, ackern Engagierte auch seit Jahren für eine Gedenkstätte für das frühe KZ Sachsenburg. Inzwischen ist das Konzept dafür zwar von den Gremien der Stiftung beschlossen. Doch Geld für die Errichtung ist im Etat für 2019 / 20 nicht eingestellt.

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