Merkel reist in »sichereres Herkunftsland«

Bundeskanzlerin will in Algerien über Kooperation in der Migration und wirtschaftliche Zusammenarbeit verhandeln

  • Claudia Altmann, Algier
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie sind beide noch im selben Amt wie 2008: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Algeriens Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika. Wie bei ihrem ersten Besuch wird Merkel auch dieses Mal mit dem inzwischen 81-Jährigen zusammentreffen, der seit 19 Jahren im Amt ist. Wegen seines schlechten Gesundheitszustandes kann er nur noch sehr wenige solcher Termine wahrnehmen. Im Februar vergangenen Jahres musste ein geplanter Besuch Merkels deswegen kurzfristig abgesagt werden.

Beide Länder können auf langjährige gute Beziehungen zurückblicken. Deutschland ist viertwichtigster Handelspartner Algeriens. Derzeit sind etwa 200 deutsche Firmen im flächenmäßig größten Land Afrikas aktiv. Mit Regierungschef Ahmed Ouyahia wird Merkel darüber sprechen, wie man etwa in den Bereichen erneuerbare Energien, Maschinen- und Auto-, Pharma- und Chemieindustrie enger zusammenarbeiten kann. Die deutsche Rüstungsindustrie macht es bereits vor. Algerien gehört zu deren Top-Kunden. Neben der Lieferung von unter anderem zwei Fregatten lassen deutsche Firmen in Algerien Radpanzer und Geländewagen herstellen. Die algerische Regierung rechtfertigt dies mit der Bedrohung durch die desolate Lage im Nachbarland Libyen und in der Sahelzone sowie der Gefahr durch bewaffnete islamistische Gruppen.

Im Anti-Terrorkampf ist Algerien mit seinen Erfahrungen aus dem Konflikt in den 1990er Jahren inzwischen ein anerkannter Partner. Durch seine geographische Lage kommt dem Land derzeit aber vor allem in der Migrationspolitik eine besondere Bedeutung zu. Algerien ist Transitland für Migranten aus dem subsaharischen Afrika. Internationale Hilfsorganisationen in Algier gehen von mehr als 100 000 Menschen aus, die teils über Jahre durch illegale Arbeiten vor allem im Bausektor Geld für ihre Überfahrt zusammensparen. Da die geschlossene Grenze nach Marokko schwer zu überqueren ist, gilt nach wie vor Libyen als Hauptroute. Das Ansinnen der Europäischen Union, Auffanglager zu errichten, hat die algerische Regierung allerdings bereits strikt abgelehnt. Zu Recht, sagt die Algerische Liga zur Verteidigung der Menschenrechte (LADDH). »Das ist ein Outsourcing der europäischen Migrationspolitik«, meint deren Generalsekretär Moumen Khelil gegenüber »nd«. »Diese Abschottungspolitik gibt den algerischen Behörden Argumente für eine Verschärfung ihrer Politik: Wenn Europa dicht macht, bleiben die Migranten bei uns. Also müssen wir auch dicht machen. Die Folgen sind dramatisch.«

Seit zwei Jahren betreiben die algerischen Behörden eine verschärfte Ausweisungspolitik. Nach offiziellen Angaben wurden seitdem 27 000 Menschen vor allem nach Niger und Mali gebracht. Im Falle nigrischer Staatsangehöriger handelt es sich um ein Netzwerk der organisierten Kriminalität, das Menschen zum Betteln in den großen Städten zwingt. Über deren Rückführung haben sich die Regierungen beider Länder geeinigt. Allerdings fallen den täglichen Razzien inzwischen auch Angehörige anderer Nationalitäten zum Opfer. Es treffe auch willkürlich Personen mit legalem Aufenthalt wie anerkannte Flüchtlinge oder Studenten, so Hilfsorganisationen. Berichte, wonach bei diesen Ausweisungen Menschen in der Wüste sterben, bestätigen Hilfsorganisationen in Algier nicht. »Uns ist kein solcher Fall bekannt«, sagt Khelil. Die Tragödie spiele sich vielmehr auf der Süd-Nord-Route ab. Den Weg nach Nordalgerien würden etwa 17 Prozent der Migranten nicht überleben.

Die Menschenrechtsliga übt klare Kritik an den Ausweisungen. »Sie finden nicht auf dem Boden der Legalität statt. Normalerweise muss eine richterliche Anordnung dafür vorliegen. Dann gibt es administrative Regelungen für die Unterbringung in Wartezentren. Stattdessen finden Massenverhaftungen statt, die Menschen kommen in Durchgangslager, die keinerlei gesetzlichen Status haben, und werden dann an die Grenze gebracht. Dieses Vorgehen widerspricht den internationalen Normen, die Algerien ratifiziert hat«, kritisiert Moumen Khelil. Dabei hatte Staatspräsident Bouteflika in einer Botschaft an die arabische Innenministerkonferenz im März dieses Jahres in Algier erklärt: »Algerien sorgt dafür, beim Phänomen der Migration praktische und angemessene Lösungen zu finden, im Sinne einer globalen Sicht, die die Aspekte der Sicherheit und Entwicklung und den Respekt der menschlichen Würde der Migranten und Flüchtlinge berücksichtigt.«

Bei Merkels Treffen wird auch das Thema der Rückführung abgelehnter algerischer Asylbewerber zur Sprache kommen. Von knapp 3700 Ausreisepflichtigen wurden im ersten Halbjahr dieses Jahres nur 309 Personen zurückgebracht, weil nach Angaben der algerischen Behörden ihre Identität nicht eindeutig geklärt werden konnte. Schließlich will sich die Kanzlerin auch ein Bild von Algerien als »sicherem Herkunftsland« machen, dies wenige Tage bevor der Bundesrat über ein entsprechendes Gesetz berät. Für Khelil ist die Antwort eindeutig: »Es ist ein universelles Recht für jede Person, die sich nicht sicher fühlt, zu flüchten. Was Algerien betrifft, so gibt es nach wie vor die Todesstrafe. Es besteht zwar ein Moratorium, aber die dazu Verurteilten werden auf eine unbestimmte Zeit als solche behandelt. Das ist mit Folter vergleichbar.« Auch stehe Homosexualität unter Strafe. »Das Gesetz selbst wird zwar nicht angewendet. Da es jedoch ein absolutes Tabu ist, werden diese Menschen offiziell nicht wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt. Aber es gab Prozesse wegen Verstoßes gegen die Sittlichkeit«, erklärt er. Zudem erinnert er auch daran, dass Journalisten zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. 2016 war der Journalist Mohamed Tamalt nach einem Hungerstreik während der Haft gestorben. Sein Anwalt und die Familie widersprechen der offiziellen Darstellung, ihm sei die nötige medizinische Hilfe gewährt worden. Derzeit sitzen außerdem zwei algerische Blogger im Gefängnis. Bei ihrem Treffen mit Vertretern der Zivilgesellschaft kann sich Angela Merkel darüber näher informieren.

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