Futuristische Vergangenheit

Trotz Emma Stone in der Hauptrolle ist die Serie »Maniac« oft nur eine Nummernrevue ulkiger Filmzitate

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn jemand nach einem frontalen Autounfall mit Todesfolge gefragt würde, wie er oder sie sich gerade fühlt, wäre das zumindest wunderlich. Annie Landsbergs Antwort andererseits ist zweifellos nachvollziehbar. »Ich bin erschöpft«, sagt das Opfer mit leerem Gesichtsausdruck, »am Boden zerstört«, bevor sie kaum merklich zu lächeln beginnt und sanft »aber befriedigt« hinzufügt. Was mindestens merkwürdig ist - wo ihr blutüberströmter Leib doch Sekunden zuvor noch zerschmettert auf einem Felsvorsprung gelegen hatte. Andererseits: Es ist ja auch nicht Petrus, gar Gott persönlich, der hoch droben vorm Himmelstor nach Annies Befinden fragt, sondern die Mitarbeiterin einer klinischen Studie tief im US-amerikanischen Diesseits.

An so einer nämlich nimmt die scheinbar wiederauferstandene Frau Mitte 30 in der Netflix-Serie »Maniac« teil. Weil ihr vermasseltes Leben darin von Bindungsunfähigkeit, Drogensucht und Tiefschlägen jeder Art geprägt ist, testet Annie Landsberg im Auftrag eines Biotec-Konzerns Pillen, mit denen sich insgesamt zwölf Teilnehmer eines pharmazeutischen Tests auf die Reise ins Innere ihrer wunden Seelen begeben, um sie von allerlei Dämonen zu befreien. Beim schizophrenen Unternehmersohn Owen Milgrim zum Beispiel sind es multiple Persönlichkeiten, mit denen er zum Auftakt gleich mal so unangenehm Bekanntschaft macht, dass die Aussicht auf Linderung seiner Leiden alle Skepsis beseitigt.

Was der gefeierte Regisseur Cary Fukunaga (»True Detective«) aus der norwegischen Serie gleichen Titels macht, klingt also zunächst mal alles andere als erbaulich. Fast alle Protagonisten sind schließlich mehr oder minder seelische Wracks. Um die Tristesse ihrer Existenzen zu verdeutlichen, wird nahezu permanent geraucht. Und wenn sich das schwarze Schaf der stinkreichen Industriellen-Dynastie Milgrim vom erniedrigend fröhlichen Familienfest in sein kleines Appartement zurückzieht, vor dem wie bestellt billige Neonreklame flackert, wird klar: Hier geht es um die Verlorenheit zeitgenössischer Großstadtgewächse, die sich aus unterschiedlichsten Motiven aus der Wirklichkeit katapultieren wollen.

Dank der Medikamente geraten sie dabei fortan in Traumwelten zwischen Gangster-Gegenwart, Achtzigerjahre-Gestern und einer zeitlos märchenhaften Mittelerde-Parallelität, in der alles und nichts real erscheint. Je nach Perspektive sind die Figuren zehn Episoden lang also Teil einer nostalgischen Zukunft oder futuristischen Vergangenheit, in der Hygieneroboter Hundekot einsammeln und Männer Hüte tragen, Autos von heute die Straßen befahren, alle Computer jedoch riesige Diskettenlaufwerke haben. Diese permanente Ambivalenz ist seltsam fesselnd. Und die Oscar-Gewinnerin Emma Stone (»La La Land«) schafft es in der nach dem Drehbuch des Showrunners Patrick Somerville entstandenen Serie ebenso eindrücklich wie Jonah Hill als ihr trübsinniger Leidensgenosse Owen, den Figuren Dringlichkeit zu verleihen.

Im Ganzen allerdings mangelt es »Maniac« trotzdem an der wichtigsten Zutat unheilbarer Seriensucht: Empathie. Während die weibliche Hauptfigur bei ihrer Irrfahrt durch Wahn und Wirklichkeit oft zu laut agiert, wirkt die männliche permanent zu leise. Und ihr gemeinsamer Versuch, dem Chaos Herr zu werden, endet allzu oft in einer Art Nummernrevue zitierter Filmvorbilder, deren Darsteller sich oft nicht entscheiden können, ob sie nun Karikaturen sind oder Reminiszenzen, wahrhaftig oder doch nur drollig sein wollen. Unterhaltsam ist »Maniac« trotzdem. Nachhaltig nur am Rande.

Verfügbar ab dem 21. September auf Netflix.

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