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  • Mietergewerkschaft in Schweden

Mietstreiks und Besetzungen

Schwedens lange sozialdemokratisch orientierte Mietergewerkschaft wird immer häufiger von Sozialisten geführt - und dadurch kämpferischer

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 3 Min.

Als Hundertjähriger eine Revitalisierung zu erleben, ist nicht alltäglich, aber genau das, was der schwedischen Mietergewerkschaft passiert ist. Gewerkschaft klingt in diesem Zusammenhang ungewohnt in deutschen Ohren, aber als solche wird das Pendant zum Deutschen Mieterbund in Schweden betrachtet.

In den letzten Jahren haben linke Aktivisten die Führung in einer Reihe lokaler und regionaler Mietergewerkschaften übernommen. So sind führende Politiker der trotzkistischen Sozialistischen Gerechtigkeitspartei sehr aktiv in Schwedens Westregion mit Zentrum in Göteborg. Sie hätten kandidiert, weil Mieterschutz ein wichtiges Anliegen ihrer politischen Arbeit sei, erklärten sie. Die führenden schwedischen Medien sahen das anders und beschrieben die Wahlen mehr als Unterwanderung, denn als demokratische Entscheidung der Basis und warnten vor einer »Machtergreifung« der Sozialisten. Diese Haltung war nicht nur auf bürgerlich orientierte Medien beschränkt, sondern auch typisch für sozialdemokratisch geprägte. Die Reaktionen waren nicht überraschend, denn die schwedische Mietergewerkschaft war Jahrzehnte lang sozialdemokratisch beeinflusst und ein wichtiger Kommunikationskanal für die Partei. Die Gewerkschaft hat gegenwärtig etwa 538 000 Haushalte als Mitglieder, so dass potenziell ein Viertel aller Schweden erreicht werden kann. In den Jahrzehnten sozialdemokratischer Dominanz führte die Gewerkschaft das Leben eines Vereins, der über Verhandlungen auf lokaler Basis sein Bestes tut, um den Mitgliedern gute Mietbedingungen zu sichern.

Diese eher beschauliche Herangehensweise hat sich in den letzten Jahren geändert. Mit dem Wohnungsmangel und stetig steigendem Mietpreisniveau werden auch offensive Kampfformen wie Protestkundgebungen, Unterschriftensammlungen und Demonstrationen angewendet. Das ist dem Einfluss der Sozialisten zuzuschreiben, die dem eher passiven Herangehen nichts abgewinnen können. Kristofer Lundberg, Vorsitzender der Westküstenregion, wäre sogar bereit, Mietenstreiks und Besetzungen zu organisieren. Er verweist dabei auf Erfahrungen der Anfangsjahre der Mietergewerkschaft, als solche Methoden in den Zeiten größter Wohnungsnot zwischen den Weltkriegen oft angewendet wurden. Damals war ein Kommunist Vorsitzender der Gewerkschaft, der gleichzeitig Kominternvertreter war.

Neben der alltäglichen Beratung und Rechtsvertretung von Mietern hat die Mietergewerkschaft den Kampf gegen die Marktmiete sowie für die Verbesserung der Wohngebiete allgemein aufgenommen. Dabei geht es nicht nur um Begrünung und Spielplätze, sondern auch um Gesundheitsversorgung, ausreichende Schulplätze und Freizeitmöglichkeiten für die Jugend. Die Marktmiete, die den Vermietern wesentlich freiere Hand bei der Mietgestaltung sichern würde, wird von allen großen schwedischen Parteien befürwortet und stellt die größte Bedrohung von Familien dar, die in Mietwohnungen leben - was in Schweden die Regel ist. Wohneigentum ist vergleichsweise selten.

Noch gilt in Schweden ein vergleichsweise mieterfreundliches System. Es gibt zwar einen privaten Wohnungsmarkt, der weniger reguliert ist, doch die Hälfte aller Wohneinheiten befindet sich im Besitz von kommunalen Wohnungsgesellschaften. Die Mieten werden in einer Art Tarifsystem zwischen Mieter- und Vermieterverbänden kollektiv ausgehandelt. Für die Höhe werden Kriterien wie Standard und Baukosten, aber auch Einkommen der Mieter und Inflationsrate berücksichtigt. Die Wohnlage spielt hingegen keine Rolle.

Doch auch in Schweden sind Wohnungen nach einer Sanierung für Normalverdiener oft nicht mehr bezahlbar oder mindestens eine schwere finanzielle Belastung. Die drohende Einführung der Marktmiete war ein wichtiges Thema bei der Parlamentswahl vor zwei Wochen. Im Wahlkampf hatte die Mietergewerkschaft ihre Mitglieder aufgefordert, bei den lokalen Kandidaten nachzubohren, wie sie die Wohnungsnot bekämpfen wollen und welche Meinung sie zur Marktmiete haben. Darüber hinaus fordert die Gewerkschaft den Bau von 30 000 neuen Mietwohnungen jährlich. Zumindest die Linkspartei (Västerpartiet) erhob ähnliche Forderungen in ihrem Wahlprogramm, ohne sich aber auf konkrete Ziele festzulegen.

Sollte die Marktmiete tatsächlich eingeführt werden, hat die Mietergewerkschaft angekündigt, ihre Mitglieder landesweit auf die Straße zu rufen und sämtliche zur Verfügung stehende »Kampfmittel« anzuwenden. Also auch Streiks und Besetzungen.

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