Kunst am Schacht

Alter Förderturm in Zwickau wird durch Graffiti zum Hingucker

  • Claudia Drescher, Zwickau
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein ehemaliger Steinkohlenschacht wird zum Kunstwerk: Mehr als 30 Meter ragt das in Schwarz und Weiß gehaltene Wandbild auf dem alten Förderturm in die Höhe. Es zeigt einen Querschnitt durch ein Kohleflöz. Obenauf thront eine Zeche, wie sie nicht nur in Zwickau sondern auch im Ruhrgebiet jahrhundertelang die Landschaft bestimmte. »Wir machen damit einen ästhetischen Unort zum Hingucker«, sagt Carsten Debes, verantwortlich für das Projekt »InduCult 2.0« beim Landkreis Zwickau.

Seit Sommer 2016 fördern EU, Bund und Freistaat in Sachsen damit auf vielfältige Weise - unter anderem über die Mittel der Kunst - die Entwicklung einer lebendigen Industriekultur abseits von Metropolregionen. Neben dem Landkreis Zwickau gibt es europaweit sieben weitere Partnerregionen wie in Österreich, Tschechien oder Italien. »Wir begreifen Industriekultur als ein identitätsstiftendes Moment mit Gegenwartsbezug«, erläutert Debes.

Der Martin-Hoop-Schacht sei für das Zwickauer Revier ein wichtiger Ort gewesen, bevor 1978 der letzte Hunt mit Steinkohle gefördert wurde und die Bergbautradition der Region damit ihr Ende fand. Der 60 Meter hohe Förderturm auf dem heutigen Betriebsgelände eines Stahlbauers ist demnach das höchste Industriebauwerk im Raum Zwickau und weithin sichtbar. Als Debes vor eineinhalb Jahren mit seiner Ideen auf ihn zu kam, den Stahlbetonriesen zum Kunstwerk zu machen, war Firmenchef Jürgen Zampieri sofort Feuer und Flamme. Der 61-Jährige hatte zu DDR-Zeiten am Hoop-Schacht gelernt und nach der Wende auf dem stillgelegten Gelände ein Unternehmen gegründet. Mit 70 Mitarbeitern entwickelt, fertigt und montiert er heute Balkone und Industrietoranlagen. Im Erdgeschoss des alten Förderturms befinde sich ein Teil der Fertigung, erzählt Zampieri. Weil er so begeistert war von dem Projekt, ließ es sich der Eigentümer nicht nehmen, den Untergrund des Wandbildes auf eigene Kosten herzurichten.

Unter dem Arbeitstitel »Lebendig vergehen« suchte der Landkreis seit Ende letzten Jahres in ganz Europa nach einem Künstler, der die 30 mal 16 Meter große Fläche gestalten könnte. Die Wahl fiel schließlich auf einen kreativen Kopf aus der Region. Der Leipziger Gestalter Christoph Steyer überzeugte mit seinem Entwurf, der dem Betrachter vor Augen hält, dass der sichtbare Förderturm einer Zeche nur die berühmte Spitze des Eisbergs ist.

Tatsächlich wurde auf dem Hoop-Schacht zwischen 1959 und 1964 bis auf über 1000 Meter abgeteuft, berichtet Projektleiter Debes. Der Großteil der knapp 500 Quadratmeter bemalten Fläche zeigt daher Erdschichten in verschiedenen Grau-Schattierungen. Ein Förderturm vor einer Bergkulisse bildet den Abschluss des überdimensionalen Wandbildes.

Drei winzige weiße Schwäne verweisen als Zwickaus Wappentiere auf den Ort des Geschehens und stellen den regionalen Bezug her. »Ich hatte beim Entwerfen eine Kaltnadelradierung vor Augen, daher ist das Bild im oberen Bereich bewusst sehr detailverliebt«, erklärt Steyer, der in erster Linie als Illustrator tätig ist.

Umgesetzt wurde Steyers Idee von Graffiti-Künstler Timo Schneider. Seit Anfang des Monats arbeitete der Gestalter aus der Nähe von Leipzig in luftiger Höhe mit Farbrolle, Pinsel und Dose an dem Bild. Mehr als 150 Liter Fassadenfarbe und 250 Sprühdosen gingen dafür drauf. Nach einigen wetterbedingten Verzögerungen wurde das Kunstwerk am Schacht nun in dieser Woche fertig und ist weithin sichtbar. dpa/nd

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