Ärger und Wut an der SPD-Basis

Die hessischen Sozialdemokraten versprechen im Landtagswahlkampf, die Wohnungsnot zu bekämpfen. Doch die Partei hat ein Glaubwürdigkeitsproblem

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.

In der heißen Phase des hessischen Landtagswahlkampfs setzt die hessische SPD auf das Thema Wohnungsbau. Um dies zu verdeutlichen, hängen jetzt in Stadt und Land massenhaft Plakate, die den Fraktions- und Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel als lächelnden Bauhelfer präsentieren, der in Jeans und Hemd und mit fachmännischer Begleitung durch einen Zimmermann auf einer Baustelle einen schweren Balken schultert.

»Bauen, bauen, bauen«, lautet eine Parole, die »TSG«, wie seine Anhänger den Spitzenkandidaten nennen, in diesen Tagen immer wieder über die Lippen kommen - eine offensichtliche Anlehnung an die Parole »Jobs, Jobs, Jobs«, die in den 1990er Jahren Bill Clinton im Kampf um die US-Präsidentschaft bemühte. »Bezahlbare Wohnungen jetzt schaffen«, lautet eine zentrale Parole, mit der die Hessen-SPD aus dem Umfragetief von derzeit 25 Prozent herauskommen und den Abstand zur Hessen-CDU verkleinern möchte, der die Demoskopen nach einer aktuellen Umfrage nunmehr 32 Prozent zutrauen. Als Ministerpräsident werde er einen Richtungswechsel im Land einleiten und bezahlbaren Wohnraum zur »Priorität Nummer eins in der Landespolitik« machen, verspricht Schäfer-Gümbel immer wieder bei seinen Wahlveranstaltungen.

Im Rathaus der Landeshauptstadt Wiesbaden, wo die SPD den Oberbürgermeister stellt und mit CDU und Grünen kooperiert, versuchte die örtliche SPD-Fraktion jüngst einen kleinen wohnungspolitischen Befreiungsschlag. Sie stellte gegen den ausdrücklichen Willen des Partners CDU in der Stadtverordnetenversammlung einen Antrag auf Begrenzung der Mietsteigerungen bei den städtischen Wohnungsgesellschaften auf ein Prozent jährlich. Eine Mehrheit aus CDU, FDP und AfD lehnte das Ansinnen ab.

Dass SPD-Bundeschefin Andrea Nahles im fernen Berlin in der vergangenen Woche nun im Zusammenhang mit der Beförderung von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen zum Innenstaatssekretär und der damit verbundenen Versetzung des Baustaatssekretärs und SPD-Mitglieds Gunter Adler in den einstweiligen Ruhestand zustimmte, war für die hessischen SPD-Wahlkämpfer umso mehr eine kalte Dusche und löste extremen Widerwillen aus. Schließlich war der Technokrat Adler für viele ein Hoffnungsträger, der im Seehofer-Ministerium Akzente für mehr Wohnbauexperte setzen sollte. Nun wurde er quasi am Vorabend des Wohnungsbaugipfels im Kanzleramt abserviert.

So zeigen zahlreiche Kommentareinträge in sozialen Netzwerken, dass die Erklärungsversuche der Parteichefin nach ihrem Einknicken vor Merkel und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) an der Basis in Hessen nicht gut ankamen. »Ein katastrophales Statement«, so der Frankfurter SPD-Aktivist Simon Witsch in einem Facebook-Kommentar über die Verlautbarung der Parteivorsitzenden. »Wie kann so jemand befördert werden, während wir das aktuell wichtigste Thema Wohnen einfach verlieren?«, so seine Frage. Und: »Wem sollen wir denn solche Entscheidungen auf der Straße noch erklären?« Doch dazu schreibe Nahles »kein einziges Wort«.

»Hält Merkel an Seehofer und Maaßen fest, muss die SPD die Große Koalition verlassen«, erklärte der nordhessische Jusochef René Petzold. Selbst Schäfer-Gümbel, der als Vizebundeschef auch in Berlin im engeren Führungszirkel vertreten ist, signalisierte Widerwillen. Der Druck aus Hessen dürfte mit dazu beigetragen haben, dass Nahles jetzt die Personalie Maaßen neu verhandeln will.

Aber auch ohne die Entlassung Gunther Adlers wird die SPD in Hessen von ihren eigenen Sünden in Sachen Wohnungsbau eingeholt. Schließlich ist die für ihr »Heuschreckengebaren« gegenüber Mietern in die Kritik geratene Wohnungsbaugesellschaft Vonovia historisch vor allem auch durch die massenhafte Privatisierung ehemaliger staatlicher Eisenbahnerwohnungen zum größten Unternehmen der Branche geworden. Und diese Privatisierung wurde vor knapp zwei Jahrzehnten vom ersten rot-grünen Kabinett des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder und unter Federführung des zeitweiligen SPD-Verkehrsministers Franz Müntefering gegen Proteste von Mietern und Gewerkschaftern in die Wege geleitet. »Vonovia besitzt allein in Frankfurt mehr als 11 000 Wohnungen und ist in den letzten Jahren immer wieder negativ aufgefallen«, so die hessische LINKE-Spitzenkandidatin Janine Wissler. Sie fordert eine Rekommunalisierung privatisierter Wohnbaugesellschaften.

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