Zum Wunder fehlten 98 Stimmen

Schwarz-blauer Erfolg bei Wahl des Oberbürgermeisters in Meißen

  • Hendrik Lasch, Meißen
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Sport würde man von einem Fotofinish sprechen, in dem Frank Richter den Sieg um die Länge eines großen Zehs verfehlte. 22 917 Wahlberechtigte gibt es in Meißen, wo der Theologe und frühere Bürgerrechtler sich um das Amt des Oberbürgermeisters bewarb. 10 971 von diesen beteiligten sich an der entscheidenden zweiten Runde der Wahl. Im ersten Durchgang hatte Richter einigermaßen überraschend Amtsinhaber Olaf Raschke hinter sich gelassen, der von der CDU gestützt wird und seit 14 Jahren die Stadtverwaltung führt. Zur Wiederholung des Erfolgs reichte es am Ende aber knapp nicht. Um wieder vorn zu liegen, hätte Richter 98 Stimmen mehr gebraucht. Für ihn stimmten 42,6 Prozent der Wahlberechtigten, für Raschke 43,5 Prozent. FDP-Mann Martin Bahrmann kam auf 13,9 Prozent.

Formal ging es bei der Abstimmung am Sonntag nur um den Chefposten in der Stadtverwaltung einer sächsischen Kreisstadt. Zum einen aber hatte die Kandidatur Richters für Aufmerksamkeit weit jenseits der Stadtgrenzen gesorgt. Der 58-Jährige war zuletzt Direktor der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen gewesen und in Zeiten sich zunehmend vertiefender Gräben in der sächsischen Bevölkerung als Vermittler aufgetreten. Halb ironisch, halb respektvoll wurde er als »Sachsen-Versteher« bezeichnet. Richter betonte, man müsse auch mit »Wutbürgern« im Gespräch bleiben; manchmal ging er dabei aber nach Ansicht von Kritikern zu weit, etwa als er Räume in der Landeszentrale für eine Pressekonferenz der Pegida-Führung zur Verfügung stellte.

Neben dem prominenten Kandidaten hatte ein zweiter Umstand der Wahl viel Beachtung verschafft: Sie wurde gewissermaßen als Barometer für die politische Stimmung in Sachsen gedeutet, wo 2019 zunächst im Frühjahr Kommunalwahlen anstehen und im Herbst der Landtag gewählt wird. Hinter Richter, der als parteiloser Kandidat von einem Bündnis »Bürger für Meißen - Meißen kann mehr« getragen wurde, standen dabei LINKE, Grüne und SPD. Mit Interesse wurde beobachtet, wie sich ein solcher Mitte-Links-Kandidat in einer Stadt schlägt, in der bei der Bundestagswahl 2017 die AfD mit 32,7 Prozent der Zweitstimmen weit vor der CDU gelegen hatte.

Dabei gilt die regionale CDU, zu deren prominenten Mitgliedern der sächsische Landtagspräsident Matthias Rößler und der als neuer Fraktionschef im Landtag gehandelte Geert Mackenroth gehören, ebenfalls als erzkonservativ. Manche ihrer Kommunalpolitiker suchen offen den Schulterschluss mit Rechtspopulisten. Zu ihnen zählt Stadtrat Jörg Schlechte, der bekannt wurde, als er beim Meißner Literaturfest 2017 die Lesung aus dem von ihm als »Dreck« bezeichneten Buch »Unter Sachsen« im Rathaussaal unterbinden wollte.

War angesichts dieser Ausgangslage der Erfolg Richters in der ersten Runde noch als »Wunder« bezeichnet worden, so sorgt das Endergebnis für Ernüchterung. Der Erfolg Raschkes, so glauben viele Beobachter, wurde durch den Rückzug des AfD-Kandidaten Joachim Keiler möglich, der auf knapp 14 Prozent gekommen war. Seine Partei machte danach massiv Stimmung gegen Richter, unter anderem, indem sie seine Rolle in der »Gruppe der 20« infrage stellte, die im Wendeherbst 1989 in Dresden zwischen Demonstranten und Staatsmacht vermittelte. Als die Niederlage Richters klar war, sagte der AfD-Landtagsabgeordnete Carsten Hütter, man habe eine »rote Übernahme« der Stadt verhindert.

Amtsinhaber Raschke wehrte sich nicht gegen diese Unterstützung. Er sei damit ein Bürgermeister »von Gnaden der rechtsgerichteten AfD«, sagte Richter am Wahlabend. In der Landespolitik wird das Ergebnis ähnlich gedeutet. Die CDU habe die AfD-Hilfe »billigend in Kauf genommen«, sagte Rico Gebhardt, Fraktionschef der LINKEN im Landtag, und fügte mit Blick auf die Landtagswahl an: »So wird Schwarz-Blau 2019 vorbereitet«. Der grüne Innenexperte Valentin Lippmann sagte, bei der CDU seien »zur Sicherung der Mehrheit die Dämme gebrochen«.

Frühere Beteuerungen von CDU-Landeschef und Ministerpräsident Michael Kretschmer, er werde nicht mit der AfD koalieren, nannten beide unglaubwürdig. Und Lippmanns Parteikollege Johannes Lichdi, der seit Monaten vor einer CDU-AfD-Koalition im Freistaat warnt, konstatierte: »Schwarz-Blau wächst von unten«. Kommentar Seite 4

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