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Raus aus dem Knast, rein in den Keller!

Gefängnistheater »aufBruch« mit »Underground« im Gewölbekeller der ehemaligen Königstadt-Brauerei

Die einen gehen ins Theater, die anderen ins Gefängnis. Das ist nicht ungewöhnlich. Aber manchmal geht man ins Theater, um von der Welt hinter den Gefängnismauern zu erfahren. Und manchmal spielen jene, die im Gefängnis sind, Theater. Das Berliner Gefängnistheater »aufBruch« macht beides möglich.

Bei diesem Theaterprojekt arbeitet ein professionelles Ensemble mit zehn bis 25 Inhaftierten. Vonseiten des Theaterteams gibt es keine Auswahl der Insassen. Alle Interessenten können sich bewerben, aber über ihre Zulassung entscheidet die Anstalt. Die Zugelassenen dürfen dann bei den Proben mitmachen. Doch nicht alle halten es bis zum Ende der Probephase aus. Es gebe beim Theater andere Hierarchien, sagt der Dramaturg Hans-Dieter Schütt. Auf der Bühne muss man sich frei von Herkunft, politischen oder religiösen Überzeugungen und sexuellen Orientierungen in Rollen hineinversetzten und mit unterschiedlichen Menschen umgehen. Und das gelingt einigen Insassen nicht. Es gibt aber auch andere Gründe, warum etliche Teilnehmer vorzeitig aussteigen. Manche Schauspieler seien etwa Ex-Knackis, die noch nach ihrer Haft mit dem Theater weitermachen, erzählt Schütt, doch fänden dann einige auf einmal einen Job und könnten nicht mehr zur Probe kommen. »Einer wurde sogar vor der Premiere abgeschoben«, fügt er hinzu. Es muss also bei diesem Projekt viel improvisiert und auch spontan reagiert werden.

Während der Proben wird nicht gefragt, was der eine oder andere verbrochen hat. Aber manchmal erzählt jemand von sich selbst. Manchmal liefern die Biografien den Stoff für des Theater. »Wichtig ist, dass der Stoff, der im Stück verhandelt wird, in Bezug zu den Erfahrungskontexten der Insassen steht und dass alle Figuren durch die Insassen darstellbar sind«, formuliert es die Webseite des Gefängnistheaters »aufBruch«. Während die Inhaftierten sich also der Unterordnung in die Theaterwelt anpassen, wird sich auch das Theater auf sie abstimmen. Mit dieser gegenseitigen Anpassung sorgt dieses Theaterprojekt für Authentizität.

Die Spielorte sind unterschiedliche Gefängnisse. Am häufigsten fanden die Aufführungen bislang in der Justizvollzugsanstalt Tegel und der Jugendstrafanstalt Berlin statt. Aber einmal im Jahr wird außerhalb der Gefängnismauern gespielt. Und so lässt sich die aktuelle Inszenierung »Underground« im Gewölbekeller der ehemaligen Königstadt-Brauerei in Prenzlauer Berg erleben. Raus aus dem Knast, rein in den Keller! Das ist nicht irgendein Keller, sondern der, in dem im Zweiten Weltkrieg Bauteile für die sogenannten V-Waffen produziert wurden, die vor allem gegen britische Städte zum Einsatz kamen. Für das Stück, das frei nach Motiven von Emir Kusturicas Film »Underground« inszeniert wurde, soll auch der Ort authentisch wirken. Unter der Regie von Peter Atanassow wird die Geschichte von Petar und Marko in Belgrad neu erzählt.

Als die deutsche Wehrmacht Belgrad besetzt, gründet Petar eine Kommune im Untergrund und leitet dort die Waffenproduktion für die kommunistische Partei. Marko übernimmt den Handel der Waffen in der Oberwelt. Wenn Petar ab und an den Wunsch äußert, dass er auch nach oben wolle, um »die faschistischen Schweine« umzulegen, rät Marko ihm stets davon ab: Die Partei brauche ihn unten.

Im Keller gibt es auch Raum für die kleinen Nebenerzählungen. »Jeder duldet das Leben auf seine Weise«, heißt es dort. Der Krieg endet. Aber anhand inszenierter Hörfunkberichte lässt Marko die Kellerbewohner darüber im Unklaren. Und er treibt weiter Handel in der Nachkriegszeit.

Das Stück dauert etwa 160 Minuten - fast so lang wie der Film von Kusturica. Als Petar nach zwanzig Jahren mit seinem Sohn Jovan endlich an die Oberfläche kommt, wechseln auch die Zuschauer den Raum. Auf der Bühne taucht ein riesiges Flüchtlingsboot auf. Die laute, fröhliche Balkanmusik, die unter der musikalischen Leitung von Carsten Wegener im Keller ständig gespielt wurde, wird durch leisen Sologesang ersetzt.

Die Geschichte wird vor allem mit Szenen aus Maxim Gorkis »Nachtasyl« zusammengebracht. Die Aufführung verwendet noch mehrere Texte, darunter Passagen aus Jean-Paul Sartres »Die Troerinnen des Euripides« und Eugene O’Neills »Der haarige Affe«. Auch Brecht spielt eine Rolle. Das ganze Stück ist reich an Verfremdungseffekten. Etwa, wenn in der nächtlichen Unruhe des Berliner Untergrunds die meisten Kellerbewohner in ihren Hochbetten schnarchen und einige vom Schauspiel träumen. »Ich will die Hauptrolle!«, sagt der eine. »Nein, ich will sie«, entgegnet der andere. »Halt’s Maul!« - Ende des Traum-Gesprächs.

Die Antwort auf die Frage, ob es wirklich während der Proben solche Diskussionen gab und der Regisseur sie als ein authentisches Element in das Stück eingefügt hat - oder ob es nur ein inszenierter Brecht’scher Moment ist, bleibt dem Zuschauer überlassen.

Nächste Aufführungen: 26., 27., 28., 29. und 30. September, jeweils 19.30 Uhr. Gewölbekeller der ehemaligen Königstadt-Brauerei, Straßburger Straße, Ecke Saarbrücker Straße (Eingang), Prenzlauer Berg.

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