Sicher vor der Staatsmacht

Vor Großkonzert in Thüringen: Investigativjournalist Kuban beklagt Behördenversagen bei Rechtsrockkonzerten

  • Dieter Hanisch
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Zahl der Neonazi-Konzerte stieg in den letzten Jahren kontinuierlich an. Gilt auch hier das Gesetz von Angebot und Nachfrage?

Durchaus. Doch regelt das Angebot hier mehr die Nachfrage als umgekehrt. Denn mit der Musik werden junge Leute geködert. Je mehr Neonazi-Konzerte es gibt und je größer sie sind, desto mehr Nachwuchs kann rekrutiert werden. Und das erhöht dann nicht nur die Nachfrage nach weiteren Konzerten, sondern auch nach CDs und Szenekleidung.

Thomas Kuban
Am Wochenende steht Thüringen die dritte Auflage des »Rock gegen Überfremdung« ins Haus. Veranstaltungsort der Neonazi-Veranstaltung ist Magdala im Landkreis Weimarer Land. Jahrelang beobachtete der Journalist mit dem Decknamen Thomas Kuban solche Konzerte. Ihm ist die 2012 veröffentlichte, viel beachtete Filmdokumentation »Blut muss fließen« (www.filmfaktum.de) maßgeblich zu verdanken. Mit dem Journalisten sprach Dieter Hanisch.

Was an Rechtsrockkonzerten wirkt so anziehend auf das Publikum?

Diese Gigs sind zunächst mal in ähnlicher Weise attraktiv wie »normale« Rockkonzerte auch. Die Konzerte bieten dabei vor allem die Möglichkeit, Gruppendynamik zu erleben. Ein besonderer Anreiz für Rechtsextremisten ist, dass sie dort in den meisten Fällen hemmungslos Straftaten begehen können, ohne dass die Polizei eingreift. Daraus resultiert ein Gefühl der Stärke. So nach dem Motto: Dieser Staat kann uns gar nichts …

Wer genau trifft sich dort?

Das ist verschieden. Bei den Großveranstaltungen trifft sich die ganze Bewegung - vom fremdenfeindlichen Säufer bis hin zum rassistischen Akademiker. Bei kleinen, besonders konspirativ organisierten Veranstaltungen ist der Kaderanteil zum Teil sehr hoch. Hier treffen sich also auch die braunen Strippenzieher, die sich in diesem Rahmen abhörsicher besprechen können.

Es wird ja immer vom Rechtsrock als Einstiegsdroge in die rechte Szene gesprochen. Ist die Altersstruktur bei den Konzertbesuchern aber zuletzt nicht sichtbar angestiegen?

Das ist ja kein Widerspruch. Diese Entwicklung macht offensichtlich, dass aus der Szene eine Bewegung geworden ist. Die »Generation Hoyerswerda« kommt zu den Hassmusik-Großevents eben genauso wie ein 18-jähriger Nazi-Hipster oder ein 30-jähriger Nazi-Kampfsportler, der auf dem NS-Straight-Edge-Trip ist. Zudem werden junge Menschen angezogen, die fremdenfeindliche Ressentiments haben, wie sie in großen Teilen der Gesellschaft verbreitet sind - die bisher aber noch nicht zur organisierten Szene gehörten.

Da stellt sich die Frage nach Sinn und Wirksamkeit von Verboten, wenn man bedenkt, dass die deutsche »Blood & Honour«-Sektion im Jahr 2000 verboten wurde.

Das Verbot war schon ein Rückschlag für die Neonazi-Szene. Sie musste Kraft und Zeit investieren, um sich zu reorganisieren. Ein Verbot wirkt aber auch nur dann maximal, wenn es von den Sicherheitsbehörden konsequent durchgesetzt wird. Und das war bei »Blood & Honour« nicht der Fall. Alsbald konnten Rechtsextremisten ganz offiziell in »28«-T-Shirts wieder Konzerte organisieren. Und zum »Combat 18« können sich Neonazis bis heute ungestraft bekennen, obwohl es sich um den bewaffneten Arm von »Blood & Honour« und um eine terroristische Vereinigung handelt.

Sie waren vor knapp zwei Monaten bei einem Rechtsrockkonzert im sogenannten Erfurter Kreuz in Kirchheim. Was hat sich im Vergleich zu ihren früheren Undercover-Rechtsrockbesuchen geändert?

Die Neonazis haben vollends Oberwasser bekommen, sie fühlen sich hundertprozentig sicher vor der »Staatsmacht«. Sie kontrollieren am Eingang nicht einmal mehr auf Kameras und Handys. Bei dem Konzert am 11. August in Kirchheim hat einer der Typen am Mischpult sogar mit dem Smartphone gefilmt, als zahlreiche Straftaten begangen wurden - von der Band »TreueOrden« in Form volksverhetzender Lieder und vom Publikum in Form des Hitlergrußes und »Sieg-Heil«-Rufen. Vor zehn Jahren wäre der von seinen eigenen Kameraden zusammengeschlagen worden - solche Szenen habe ich damals erlebt. Diesmal hat sich nicht einmal jemand aufgeregt.

War es schwierig ein Ticket zu besorgen, und wie groß war die Gefahr, als ungebetener Gast entdeckt zu werden?

Nein, das war einfach. Bei diesem Konzert konnte sich jeder anmelden, der das wollte. Die Organisatoren haben einen dann auf die Gästeliste geschrieben, mit der sie eine geschlossene Veranstaltung vorgetäuscht haben. Es war aber ein öffentliches Konzert - eben weil jeder kommen durfte. Und wenn ich zu so einer Veranstaltung gehe, sehe ich natürlich aus wie die anderen und verhalte mich ähnlich - folglich falle ich nicht auf.

Wie reagieren Politik und Ordnungsbehörden?

Es ist eine Katastrophe! Die Polizei ist verpflichtet, Straftaten zu verfolgen - aber sie tut es vielfach nicht. Bei dem angesprochenen Konzert in Kirchheim, bei dem es Straftaten bis hin zu Mordaufrufen gegen politische Gegner und Juden gab, habe ich die Polizei nicht einmal gesehen. Dass die Sicherheitsbehörden unter einer rot-rot-grünen Landesregierung nicht einmal die klassische Strafverfolgung gegen Neonazis sicherstellen, das schlägt dem Fass den Boden aus! Das ist das Ende der wehrhaften Demokratie auf parteipolitischer beziehungsweise parlamentarischer Ebene. Jedenfalls in Thüringen.

Wie ist den Veranstaltern beizukommen, wenn das Versammlungsgesetz und seine gebotenen Freiheiten als hohes grundrechtliches Gut wie eine schützende Hand auf diesen Konzerten wirken?

Der Weg führt ganz simpel über die Strafverfolgung. Eine Handvoll Polizisten müsste das tun, was ich gemacht habe - verdeckt arbeiten und Straftaten dokumentieren. Dann könnten Konzertbesucher, Bandmitglieder, Veranstalter und teilweise auch Vermieter angeklagt und verurteilt werden. Zudem hätten die Ordnungsbehörden Beweismittel, um Konzertverbote oder wenigstens Auftrittsverbote gegen Bands zu erwirken. Wenn ein Gericht, das über ein Versammlungsverbot urteilt, in Videoclips sehen könnte, welche Straftäter und Verfassungsfeinde angekündigt sind, dann müsste das in die juristische Abwägung einfließen.

Wie könnte man solchen Straftaten vorbeugen?

Ein konkretes Beispiel: Ich habe die Ordnungsbehörden auf kommunaler und auf Landkreis-Ebene angeschrieben, die für das rechtsextremistische Großevent am Wochenende in Magdala zuständig sind. Ich habe sie auf den Mordaufruf der Band »Kahlkopf/Der Metzger« hingewiesen, den ich zuletzt in Kirchheim gefilmt habe. Auf dieser Basis müsste meiner Meinung nach der Auftritt dieser Hass-Gruppe am Samstag beim »Rock gegen Überfremdung III« verboten werden. Und noch ein Beispiel: Im Vorjahr gab es »Rock gegen Überfremdung« mit 6000 Leuten in Themar, bei dem die Besucher massenhaft den Hitlergruß gezeigt haben. Hätte die Thüringer Polizei das Konzert aufgelöst, notfalls unter Einsatz von Wasserwerfern und Schlagstöcken, dann hätte das die rechtsextremistische Szene nachhaltig beeindruckt. Wer weiß, ob überhaupt noch mal solch ein rechtsextremistisches Großevent in Thüringen angemeldet worden wäre. Aber die Polizei hat stattdessen nichts gemacht.

Was läuft falsch in Thüringen und auch in Sachsen, die bundesweit in Sachen Rechtsrockkonzerte als Hochburgen betrachtet werden?

Die Polizei verfolgt dort die Straftaten in der Neonazi-Musikszene nur im Ausnahmefall. Zudem gibt es dort große Immobilien - wie Gasthäuser mit Sälen - preisgünstig zu kaufen. Dort setzen sich Rechtsextremisten buchstäblich fest.

Was empfehlen Sie den Menschen in Magdala fürs Wochenende?

Lassen Sie sich vom Versagen der Politik und der Polizei nicht entmutigen - halten sie weiter dagegen! Es ist die freiheitliche Demokratie, die es zu verteidigen gilt.

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