Ein Aufarbeiter der Merkel-Zeit

Noch ist es zu früh, immer schon dagegen gewesen zu sein, meint Bernd Zeller über die Kontrahenten der Kanzlerin

  • Noch ist es zu früh, immer schon dagegen gewesen zu sein, meint Bernd Zeller
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Womit nie zu rechnen gewesen wäre, tritt nun ein: Unser heutiger Bericht befasst sich mit Norbert Röttgen. Er hat es geschafft, sich neu zu erfinden. Ein kaum bedeutsamer CDU-Politiker, den niemand nennt, wenn in Umfragen danach gefragt wird, wem man eine stärkere Rolle in der Politik wünschen würde, nicht einmal, wenn suggestiv gefragt wird, ob man Röttgen mehr Kompetenzen wünschen würde, so einer bringt sich nun als Merkel-Opfer in Erinnerung.

Dies ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Einmal, weil das ehemalige Nachrichtenmagazin »Spiegel« im Interview mit Röttgen so etwas überhaupt wissen wollte, denn in der letzten Ausgabe wurde Merkel noch als große Kanzlerin gefeiert, auch wenn sie den Redakteuren zufolge umso mehr Größe gewönne, je schneller sie ihren Rückzug plante und in ihrem Sinne organisiert durchführte. Doch das stärkere Signal ist, dass nun die Zeit der Wendehälse begonnen hat.

Im Moment ist es noch zu früh, immer schon dagegen gewesen zu sein. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, hat geäußert, für Personaldebatten sei nicht der richtige Zeitpunkt, zumal die CDU sich gerade personell erneuert habe und die Leute sich nach vernünftiger Politik sehnen. Man darf annehmen, dass er eben einfach so merkelmäßig daherredet und es gar nicht als die vernichtende Kritik meint, die damit zum Ausdruck kommt. Wenn die Sehnsucht der Regierten nach erneuerbaren Politikern geringer ist als die nach vernünftiger Politik, hat man gelinde gesagt nicht das gesamte Potenzial an Erneuerung ausgeschöpft. Oder man hat es mit einer bejammernswerten Erneuerungsfähigkeit zu tun.

In einer pluralistischen Gesellschaft gibt es verschiedene Auffassungen darüber, welche Politik die vernünftigste sei, doch wenn die Sehnsucht nach vernünftiger Politik die beherrschende Stimmung ist, kann man darin ein sicheres Indiz sehen, dass nichts davon realisiert wird. Wir gehen davon aus, dass der Herr Ministerpräsident keine populistischen Absichten verfolgt hat und demzufolge dem Volk selbst die Verantwortung für dessen Sehnsüchte zuschreibt. Warum soll sich auch die Politik schneller erneuern als das Volk - ganz zu schweigen davon, wie sehr sich die Politiker nach einem vernünftigen Volk sehnen.

Die CDU-Vorsitzende, die die Kanzlerin auch ist, wendet sich gegen die Begrenzung der Amtszeit und gegen die Trennung von Kanzlerschaft und Parteivorsitz. Es kommt aber im Durchschnitt pro Woche ein Kandidat hinzu, der auf dem Parteitag gegen sie antreten will. Sie alle eint der große Vorzug, unbekannt zu sein, sogar noch unbekannter als Norbert Röttgen. Merkels Slogan »Sie kennen mich« ist zum Motto des Schreckens geworden, Jetzt ist Zeit für Unbekanntes. Die Kandidaten werben mit: »Sie kennen mich nicht.« Durchaus sympathisch, aber noch lange nicht erfolgversprechend. Als ob die Kanzlerin zum Parteitag Mitglieder delegiert, die gegen sie stimmen würden.

Es trifft zu, dass eine Erneuerung auch von einem Personal ausgehen kann, das schon einmal da war. Norbert Röttgen beklagt in seiner Abrechnung, damals als Minister entlassen worden zu sein. Bisher dachten wir, er wäre einvernehmlich gefeuert worden; stand nicht in seinem Arbeitszeugnis, er verlasse das Kabinett auf eigenen Wunsch und sei ständig bemüht gewesen, die hohen Ziele zu erreichen? Da muss sich doch arbeitsrechtlich noch was machen lassen, schließlich war er Umweltminister und beharrte auf diesem Posten mit der Begründung, nur er könne die Energiewende sicherstellen. Wir sehen ja, was danach gelaufen ist.

Die Wahl in Nordrhein-Westfalen hat er dann zwar verloren, aber zur Zeit werden nur noch alle Wahlen von allen verloren. Gemessen daran hat er seinerzeit ganz gut abgeschnitten. Er wäre der richtige Mann, an dem die Wiedergutmachung und die Aufarbeitung beginnen könnten. Selbstverständlich werden dabei die Lebensleistungen der Merkel-Zeit nicht allesamt herabgewürdigt. Denn schließlich war nicht alles schlecht.

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