Wir schauen nicht weg

Warum dem Rechtsextremismus nicht mit einer Law-and-Order-Strategie beizukommen ist

  • Bodo Ramelow
  • Lesedauer: 7 Min.

Auch am zurückliegenden Wochenende waren wieder Hunderte Menschen in Apolda unterwegs, um deutlich zu machen: Thüringen lässt Nazis und ihre Konzerte nicht unwidersprochen! Die Zivilgesellschaft: Kirchen, Gewerkschaften, demokratische Parteien, Unternehmen und Vereine setzen Zeichen des entschiedenen und deutlichen Protests gegen Rechtsrockkonzerte in unserem Bundesland. Und die Landesregierung lässt die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, die Gemeinden und Landkreise auch nicht allein, sondern hilft und unterstützt wo sie kann. Und am Ende war es für mich auch persönlich wichtig, am ökumenischen Gottesdienst in Apolda teilzunehmen und deutlich zu machen: Auch der Ministerpräsident von Thüringen zeigt Haltung.

Umso mehr ärgert es mich, wenn es immer wieder Vorwürfe gibt, dass es den Veranstaltern von Rechtsrockkonzerten in Thüringen besonders leicht gemacht würde und natürlich wird das immer mit dem Hinweis verbunden, dass es in Thüringen ja eine rot-rot-grüne Landesregierung gäbe, die diese Konzerte nicht verhindern würde. Zuletzt war dieser Vorwurf in einem Interview von Thomas Kuban mit dem »neuen deutschland« zu lesen.

Bodo Ramelow

Bodo Ramelow, Jahrgang 1956, wuchs in Niedersachsen und Hessen auf. 1990 kam er als Funktionär der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen nach Thüringen. 1999 zog er für die PDS in den Thüringer Landtag ein, wurde später deren Fraktionsvorsitzender. Ramelow gehört zu den Architekten der Linkspartei, vertrat sie im Bundestag und ist seit Ende 2014 Ministerpräsident Thüringens - der erste Linkspolitiker an der Spitze einer Landesregierung.

Mit dem hier veröffentlichten Text antwortet Ramelow auf ein Interview mit dem Journalisten und Filmemacher Thomas Kuban (»Sicher vor der Staatsmacht«, »nd« vom 5. 10. 2018). Darin hatte Kuban fehlende Strafverfolgung gegenüber Nazis kritisiert und dafür plädiert, in der rechten Szene verdeckt zu ermitteln und Rechtsrockkonzerte gegebenenfalls »unter Einsatz von Wasserwerfern und Schlagstöcken« aufzulösen. Für Thüringen konstatierte er »das Ende der wehrhaften Demokratie auf parteipolitischer beziehungsweise parlamentarischer Ebene«.

Zum Nachlesen: dasND.de/Rechtsrock

Fakt ist: Thüringen ist ein Zentrum rechtsextremer Aktivitäten. Das kann und werde ich auch nicht bestreiten. Ich könnte beim Jahr 1929 beginnen, als Thüringen das erste Land war, in dem die NSDAP mitregierte. Ich muss auf die 90er Jahre verweisen, in denen sich eine Vielzahl von Aktivitäten rechtsextremer Gruppen in Thüringen konzentrierte; nicht zuletzt hat der NSU seinen Ursprung in Thüringen. Der Aufbau und die Entwicklung dieser rechtsextremen Strukturen geschahen unter den Augen des Thüringer Verfassungsschutzes, der einen Teil der Akteure und Aktivitäten nicht nur duldete, sondern aktiv unterstützte. Später war der Thüringer Verfassungsschutz vor allem mit Wegschauen und Vertuschen befasst.

Seit ich in Thüringen bin, habe ich immer wieder im Bündnis mit vielen anderen, nicht nur auf das Problem des Rechtsextremismus in Thüringen hingewiesen, sondern habe auch immer wieder dagegen protestiert, Strukturen und Hintermänner aufgedeckt und wurde zum Dank selbst Gegenstand von Schnüffeleien des Verfassungsschutzes. Aber ich war auch der Verantwortliche bei der Durchführung der Ausstellung der Verbrechen der Wehrmacht und habe den Überfall auf diese Ausstellung erlebt. Den Rechtsterroristen Manfred Röder habe ich persönlich gestoppt und festgehalten, bis die Polizei die Zerstörung gestoppt hat. Im Prozess gegen Röder erlebte ich dann persönlich die Bedrohung und Einschüchterung durch Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt. In unserer Geschäftsstelle der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen brannte es dann und »Hausbesuche« erlebte ich auch.

Diese Erfahrungen sind übrigens auch Gründe dafür, weshalb ich bis heute skeptisch bin, ob es eines Geheimdienstes bedarf, um sich mit dem Rechtsextremismus wirksam auseinanderzusetzen oder ob wir nicht ganz woanders ansetzen müssen, um hier erfolgreich zu sein. Deswegen reibe ich mir dann schon verwundert die Augen, wenn Herr Kuban im »nd« etwa für den Einsatz von verdeckten Ermittlern wirbt, denn letztlich bedeutet das geheimdienstliches Ausspähen mit getarnten Beamten. Meine Erfahrungen, nicht nur aus den NSU-Untersuchungsausschüssen, lassen mich bei V-Leuten sehr skeptisch sein, egal, ob es sich um verdeckte Ermittler oder sogenannte Vertrauensleute aus der Szene handelt.

Ja, ich bin bei Herrn Kuban. Der Rechtsstaat ist gefordert. Straftaten müssen energisch, konsequent und effektiv verfolgt und geahndet werden. Aber er selbst macht die Grenzen deutlich. Er berichtet von einem Konzert, in das er sich eingeschmuggelt hat, das offenbar privat veranstaltet und nicht öffentlich beworben wurde, und beklagt dann die mangelnde Anwesenheit der Polizei. Ist das die Aufforderung an R2G, künftig alle Privatveranstaltungen in Thüringen mit Polizei zu überwachen?

DIE LINKE ist jedenfalls aus guten Gründen und bitteren Erfahrungen sehr skeptisch, Rechtsextremismus mit einer Law-and-Order-Strategie bekämpfen zu können. Grundlos wurden die V-Leute in Thüringen jedenfalls nicht abgeschaltet und ich bin schon verwundert, dass jetzt aus der eher progressiven Richtung hinterfragt wird, ob das so sinnvoll sei.

Wie sind die Fakten? Es wurden ja in Themar, Mattstedt, Magdala und Apolda keine Musikveranstaltungen angemeldet, sondern politische Versammlungen und genau hier kommen wir an enge Grenzen. Denn gerade diese Musik, kombiniert mit Wortbeiträgen, sei von der Demonstrations- und Meinungsfreiheit gedeckt. Ich gehe davon aus, dass Herr Kuban die Haltung zur Bedeutung der Demonstrations- und Versammlungsfreiheit hat, wie das Grundgesetz sie ihr zuerkennt. Beides sind Grundrechte und sie dürfen nur in engen Grenzen beschränkt werden. Zuständig dafür ist im Übrigen nicht die Landesregierung, sondern sind die Landkreise und kreisfreien Städte. Wir tun alles, um diese zu unterstützen, aber am Ende entscheiden die Gerichte, ob Auflagen und Verbote zulässig sind oder nicht.

Und da weise ich darauf hin, dass in Magdala und Apolda fast alle Auflagen der Behörden durch das Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht aufgehoben wurden. Die Bescheide waren so aufgebaut, wie z.B. in Sachsen-Anhalt und dort blieben die Auflagen rechtskräftig und konnten von der Polizei durchgesetzt werden. Selbst das Alkoholverbot wurde in Thüringen von den Verwaltungsgerichten gekippt. Acht verletzte Polizeibeamte mussten die Konsequenzen daraus ertragen, denn der betrunkene Mob in Apolda hat gezeigt, wozu er fähig ist. Hasserfüllt und sehr betrunken entlud sich die Gewalt der Nazis gegen unsere Polizei. Gute Besserung wünsche ich den Beamtinnen und Beamten. Wozu das Gericht nach eigener Aussage nicht genug Zeit hatte, nämlich die vorgetragenen Argumente für die Auflagen zu prüfen, das mussten die Polizistinnen und Polizisten dann durchstehen.

Auch die Aufrufe zum Totschlag, auf die Herr Kuban im nd-Interview hinwies, wurden dem Gericht konkret vorgetragen und trotzdem äußerte das Gericht seine Kritik an der Kurzfristigkeit solcher vorgetragenen Argumente und führte aus, dass die Konsequenzen daraus die Ordnungsbehörde gegen sich gelten lassen müsse. Es trifft also nicht zu, dass hier nicht gehandelt worden sei, wie Herr Kuban mutmaßte. Das Gegenteil ist der Fall. Die Behörde hat umfassend geprüft, Fakten zusammengetragen und in die Bescheide Auflagen aufgenommen, die jedoch vor Gericht keinen Bestand hatten.

Wo liegt hier das Versagen von Rot-Rot-Grün?

Ich erlebe einen engagierten Innenminister, der Haltung zeigt und mit seinem Haus die Gemeinden und Landkreise in allen Fragen unterstützt und berät und der deutlich macht, dass die Polizei Straftaten konsequent zur Anzeige bringt. Ich will gar nicht bestreiten, dass es hier auch Versäumnisse gab. Aber was ich nun sehr genau weiß, ist, dass die Landesregierung sich gerade auch in Auswertung der Ereignisse in Themar sehr intensiv damit befasst, wo die Mittel des Rechtsstaates noch konsequenter eingesetzt werden müssen.

Und dann stockte mir beim Lesen des Interviews im »neuen deutschland« doch der Atem. Auf die Frage, was die Landesregierung tun müsste, kommt doch allen Ernstes der Vorschlag: »Wasserwerfer und Schlagstöcke«, das würde Rechtsextreme nachhaltig beeindrucken. Ich kann nur sagen, dass das ganz und gar nicht meine Haltung als Ministerpräsident ist. Natürlich ekeln mich diese Konzerte an, natürlich widern mich die Inhalte an, die dort vertreten werden, und immer wieder motiviere ich Menschen, dagegen aufzustehen. Aber was mir als Linkem ganz zuletzt einfallen würde, ist, aus dem Kampf gegen Rechtsextremismus eine paramilitärische Auseinandersetzung zu machen. Wem bitte soll das nützen?

Ich lade Herrn Kuban ein, sich in Thüringen zu informieren, was wir tun und was viel mühsamer und anstrengender, aber hoffentlich deutlich nachhaltiger ist, als die Polizei als Schlägertrupps einzusetzen. Da gibt es seit Jahren den »ThüringenMonitor«, eine soziologische Langzeitstudie, die aufdeckt, wie die Einstellungen der Thüringerinnen und Thüringer sind. Da ist die Mehrheit im Landtag, die sich ernsthaft bemüht, Ursachen des NSU in Thüringen aufzuarbeiten. Da ist eine Enquetekommission, die sich mit den Wurzeln von Rassismus und Strategien dagegen befasst. Da ist das Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit, mit dem wir Strukturen vor Ort stark machen wollen. Da sind aber vor allem die Menschen in den betroffenen Gemeinden, die sich mutig widersetzen, was wahrlich nicht immer einfach ist. Und da sind Unternehmen, die beispielsweise sagen: Wir vermieten weder Zäune noch Klos an Nazis.

All das als Versagen von Politik darzustellen, halte ich für überhaupt nicht hilfreich und angemessen, schon gar nicht im Vergleich zu anderen Bundesländern. Aber ich bin gern bereit, mich dem Dialog zu stellen, wo wir noch besser werden können. Nur eins schließe ich aus: Ja, ich bin dafür, dass unsere Beamtinnen und Beamten bei der Polizei gut ausgestattet und ausgerüstet sind, aber ich werde sie nicht als Feuerholz mit Schlagstöcken in einen Kleinkrieg mit Nazis schicken.

Am Ende bleibt festzuhalten, dass die Beamtinnen und Beamten vor Ort sehr wohl Recht und Gesetz durchgesetzt haben und damit das Konzert auch beendet wurde, als es zu Übergriffen auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte kam, von denen mehrere verletzt wurden. Ein Erfolg für die demokratische Gegenkultur in Thüringen und für den Rechtsstaat.

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