Blick über den Tellerrand

Die Berliner Symphoniker mit neuem musikalischem Profil

  • Sigurd Schulze
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit der Berliner Senat unter Federführung von Thomas Flierl (PDS) 2004 den Berliner Symphonikern die Zuschüsse gestrichen hat, haben viele sie totgesagt oder totgeglaubt. Doch der Regierende Bürgermeister Michael Müller zählt sie noch immer zu den acht subventionierten Berliner Orchestern. Unbestreitbar hatten und haben sie einen unentbehrlichen Platz unter den Berliner Orchestern. Von Anfang an zielten sie darauf ab, durch populäre Programme und günstige Eintrittspreise einkommensschwachen Bevölkerungsschichten einen Konzertbesuch zu ermöglichen.

Für die Saison 2018/2019 entwickelte der Chefdirigent Lior Shambadal ein neues musikalisches Profil. »Bei uns soll man etwas hören, was man nur bei uns zu hören bekommt«, sagt Shambadal. Zum Beispiel können das unvollendete Werke von Wolfgang Amadeus Mozart sein. Oder unbekannte Werke von jüdischen Komponisten, oder Musik von Komponisten aus der DDR und der Sowjetunion, deren Werke nach dem Untergang beider Staaten nicht weiter gepflegt wurden und im Westen weitgehend unbekannt sind.

Mehr noch, das Schaffen der DDR-Komponisten wird von den renommierten Orchestern fast völlig ausgeblendet, sowohl im Konzertsaal als auch auf der Opernbühne. Shambadal und sein Orchester blicken mit ihrem Programm weit über den Tellerrand hinaus, der im »vereinten« Deutschland keiner mehr sein dürfte, aber Realität ist. Sein Konzept hat Shambadal dem Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) vorgelegt, der dem Plan Geschmack abgewinnen konnte, wenn auch noch ohne die Konsequenz, das Orchester erneut institutionell im Landeshaushalt zu fördern. Eine Projektförderung dürfen sie beantragen, bei Bedürftigen bekannt als Sisyphusarbeit ohne Garantie auf Erfolg.

Am kommenden Sonntag beginnen die Musiker in der Philharmonie ihre Abonnementskonzerte mit Werken von Meistern, die von den Nazis verfemt worden waren. Die Märchenouvertüre »Peter Pan« entreißt ein Werk Ernst Tochs der Vergessenheit. Ein Kleinod ist das Violinkonzert Erich Jacques Wolffs, ein Klangerlebnis die Reformationssymphonie Felix Mendelssohns-Bartholdys. Am 28. Oktober folgt im Konzerthaus ein Sonderkonzert mit Werken von Komponisten aus Ost und West. Spannend zu hören wird die Vertonung des Kommunistischen Manifests durch den deutschböhmischen jüdischen Komponisten Erwin Schulhoff sein, der als Sowjetbürger in einem deutschen Internierungslager starb. Die Paganini-Variationen von Boris Blacher sind ein Kleimod ebenso wie »Sakuntala für Violine und Orchester« von Wolfgang-Andreas Schultz. Von Kurt Schwaen, einem Meister des Neoklassizismus aus der DDR, erklingen Variationen über ein niederländisches Volkslied. Ohrwürmer bringt die Suite »Die Legende von Paul und Paula« des DDR-Filmkomponisten Peter Gotthardt.

Im April 2019 erklingt unter Lior Shambadal ein Konzert mit einer »Studie für Streichorchester« von Pavel Haas, der 1944 von den Nazis im KZ Auschwitz ermordet wurde. Von Gottfried von Einem stammt der »Bruckner-Dialog«. Schöpfungen von DDR-Komponisten: Günter Kochan verknüpft in »Variationen für Klavier und Orchester« Elemente des musikalischen sozialistischen Realismus mit jenen der Avantgarde. Ein Paukenschlag wird die Uraufführung des Schlagzeugkonzerts von Ruth Zechlin werden.

Konzerte: 21. Oktober, 16 Uhr, Philharmonie, 28. Oktober, 11 Uhr, Konzerthaus Berlin.

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