Radikaler Widerstand verändert die Politik

Über Besetzungen und Enteignungskampagnen

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 2 Min.

Die stadtpolitischen Aktionen in Berlin sind oft bunt und kreativ. An diesem Freitag beispielsweise wollten Mieteraktivisten mit einer »Eisparade« durch Kreuzberg ziehen. »Mieterprotest wird am besten kalt serviert«, heißt es in einem Protestaufruf. Der Hintergrund ist allerdings ernst: Dem Eismann Mauro Luongo wurde vor Kurzem von einem internationalen Investor aus Dänemark gekündigt. Luongo hat ein Lager in der Lausitzer Straße 10/11. In diesem Gebäudekomplex leben Mieter, Künstler und auch einige wichtige linke Initiativen haben hier ihren Standort. Die Kündigung des Eismanns steht exemplarisch für die Verdrängung aus dem Kiez. Große Konzerne, Pensionsfonds, Aktiengesellschaften kündigen und vermieten neu, was das Zeug hält, um ihre Profitinteressen zu verfolgen. Der als Gentrifizierung bekannte Verdrängungsprozess geht unvermindert weiter.

Dass sich diese Entwicklung mit bunten Paraden und Lärmdemonstrationen aufhalten lässt, glaubt indes kaum noch jemand. Vielmehr ist in den vergangenen Monaten eine Radikalisierung der stadtpolitischen Bewegung zu beobachten. Mit der Kampagne besetzen etwa haben Aktivisten erfolgreich auf den Leerstand in der Hauptstadt aufmerksam gemacht. Gleichzeitig ist es ihnen gelungen, eine Debatte über die sogenannte Berliner Linie loszutreten, nach der Neubesetzungen nicht mehr automatisch innerhalb von 24 Stunden von der Polizei geräumt werden. Die Besetzung von leerstehendem Wohnraum genießt eine Akzeptanz weit über die linksradikale Szene hinaus.

Ähnlich radikal hat sich der Widerstand gegen die Ansiedlung des Campus von Google positioniert. Und nicht zuletzt die Besetzung und die Dauerkritik der Anwohnerinitiativen dürften das Einlenken des Internetkonzerns, statt des Campus’ lieber soziale Organisationen in das Umspannwerk einziehen zu lassen, forciert haben. Doch nicht nur mit Besetzungen wurde in den vergangenen Monaten der politische Druck erhöht. Als neuestes Instrument gegen den Mietenwahnsinn legen Aktivisten jetzt eine Enteignungskampagne auf. Die ursprünglich auf die Deutsche Wohnen zielende Kampagne wird auf weitere Wohnungsunternehmen ausgeweitet. Um die Sozialisierungsforderung zu untermauern, wird dafür ein Volksbegehren eingeleitet. Damit wird auch der einst abgeblasene Mietenvolksentscheid auf neue Art und Weise reaktiviert. Da es diesmal keinen Gesetzentwurf beinhaltet wird die rechtliche Prüfung kein Problem sein. So oder so ist die Forderung nach Enteignungen sicher gut geeignet, dem stadtpolitischen Widerstand noch mehr Schwung zu verleihen.

Besonders interessant ist zudem: Die radikalen Diskurse färben bereits jetzt auf die Politik ab. Auch Rot-Rot-Grün diskutiert Enteignungen, nicht nur von Leerstandshäusern, sondern auch von Grundstücken. Und der SPD-Fraktionschef Raed Saleh spricht gar von einer »mietenpolitischen Revolution«. Ob die kommt, wird sich zeigen. Die Rhetorik ist jedenfalls radikal wie lange nicht.

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