Hoffnungsschimmer Vorkaufsrecht

Mieter der Karl-Marx-Allee in Berlin organisieren sich gegen die Deutsche Wohnen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Aufruhr bei den Mietern der Karl-Marx-Allee. Die Deutsche Wohnen hat zugegriffen und vier der Zuckerbäcker-Blöcke von der Predac Immobilien Management AG gekauft. Rund 700 Wohnungen in Berlin-Friedrichshain rund um die Kreuzung der Magistrale mit der Friedenstraße und der Straße der Pariser Kommune sind betroffen.

Rund 50 Mieter haben sich auf Einladung des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg am Montagabend im Gesundheitshaus an der Koppenstraße eingefunden. Ihnen gegenüber sitzt in dem heruntergekommenen Versammlungsraum Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt (Grüne) und erklärt, wie die nächsten Schritte aussehen sollen.

Zumindest für den kleinsten Block D-Süd mit 81 Wohnungen und zehn Gewerbeeinheiten prüft der Bezirk die Ausübung des Vorkaufsrechts. Rund 28 Millionen Euro hat die Deutsche Wohnen allein dafür bezahlt. Nur dieser Block liegt im Milieuschutzgebiet Weberwiese. Es sei »bemerkenswert, dass die Deutsche Wohnen in diesem Umfang zuschlägt«, sagt der Stadtrat. »Besonders alarmiert« sei der Bezirk, weil der Wohnungskonzern kürzlich zusammen mit der Accentro GmbH ein Paket von 500 Wohnungen gekauft habe. Letztere ist vor allem auf die Aufteilung von Häusern und den anschließenden Verkauf als Eigentumswohnungen spezialisiert. Das könnte einen Strategiewechsel bei dem Wohnungsgiganten hin zum Einzelverkauf von Eigentum bedeuten.

Als einzige realistische Option sieht Schmidt die Ausübung des Vorkaufsrechts durch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). Pikanterweise hatte deren Vorläuferin, die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) in den 1990er Jahren verkauft.

»Wir erleben eine Spätfolge der weitgehenden Privatisierung der Karl-Marx-Allee in den 90er Jahren, den Verkauf von mindestens 15 Prozent des kommunalen Wohnungsbestands nach den Vorgaben des damaligen Altschuldenhilfegesetzes. Das rächt sich nun«, sagt Stadtratskollege Knut Mildner-Spindler (LINKE). Die Bundesregierung gab diese Möglichkeit, um die Verbindlichkeiten des DDR-Wohnungsbaus zu begleichen. Sie hätten auch einfach im Rahmen der Wiedervereinigung gestrichen werden können.

Obwohl der Preis mit rund 3500 Euro pro Quadratmeter sich angesichts der explodierenden Immobilienwerte noch im Mittelfeld bewegt, wird die WBM bei einem Kauf auf einen Zuschuss angewiesen sein. Stadtrat Schmidt hofft, dass Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) die entsprechenden Mittel freigeben wird. »Gehört zum angestrebten Weltkulturerbestatus für die Allee nicht auch die soziale Frage?«, fragt Schmidt rhetorisch. Immerhin seien die Häuser unter dieser Prämisse gebaut worden.

Außerdem kündigt er an, der Deutschen Wohnen eine besonders scharfe Abwendungsvereinbarung vorzulegen. »Unter anderem soll sie eine Einhaltung der Mietpreisbremse ohne Ausnahmen enthalten«, so Schmidt. Käufer haben stets die Möglichkeit, so einen Vertrag zu unterzeichnen, um den Vorkauf durch den Bezirk abzuwenden. Ob sich der Konzern darauf einlassen würde, ist offen.

»Ich finde es seltsam, dass möglicherweise nur dieser Leuchtturm im Milieuschutzgebiet gerettet wird und der Rest ist die Beute«, sagt ein Mieter bei der Versammlung. Tatsächlich könnte es auch für die restlichen drei Blöcke mit 620 Wohnungen eine kommunale Lösung geben. »Im Grundbuch ist ein Vorkaufsrecht zugunsten der WBF eingetragen«, berichtet Schmidt. Allerdings mit dem Zusatz, dass sie Löschung beantragt sei. »Wir prüfen das«, so Schmidt. Stadtentwicklungsverwaltung und WBM haben bis Redaktionsschluss dieser Seite nicht auf entsprechende Anfragen geantwortet. LINKEN-Haushaltspolitiker Steffen Zillich wäre dafür, die aktuellen Überschüsse für die Rekommunalisierung einzusetzen. »Das ist eine Investition in die Zukunft«, sagt er.

Norbert Bogedein, Vorsitzender des Mieterbeirats an der Karl-Marx-Allee hofft, dass angesichts der schlechten Reputation die Deutsche Wohnen nicht zum Zuge kommt. Der Widerstand organisiert sich. »Es haben sich heute schon mindestens zehn Mieter gemeldet, die Aufgaben übernehmen wollen«, berichtet Bogedein.

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