Die Hölle friert doch zu

Ryanair einigt sich mit ver.di auf einen Tarifvertrag nach deutschem Arbeitsrecht

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach monatelangem Tauziehen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit dem irischen Billigflieger Ryanair gibt es einen ersten Durchbruch: Für die rund 1000 Kabinenbeschäftigten an deutschen Basen wurde eine Vorvereinbarung über einen Tarifvertrag nach deutschem Arbeitsrecht getroffen. Ähnliche Vereinbarungen sind auch in Italien, Griechenland und Schweden in Vorbereitung.

Der stets ruppig auftretende Konzernboss Michael O’Leary hatte noch vor gut einem Jahr erklärt: »Eher friert die Hölle zu, als dass wir Gewerkschaften zulassen.« Dass seine Unterhändler sich mit ver.di-Sekretären an einen Tisch setzten und über Eckpunkte eines künftigen Vertragswerks zur Regelung der Einkommen und Arbeitsbedingungen von fest angestelltem Kabinenpersonal und Leiharbeitern redeten, ist einzig dem Streikdruck der Betroffenen zu verdanken. So blieben in den vergangenen Monaten in Deutschland stationierte Flieger mehrfach am Boden, während sich die Streikenden zu Kundgebungen in den Flughafenterminals versammelten. Auch die in der Vereinigung Cockpit organisierten Ryanair-Piloten hatten mehrmals die Arbeit niedergelegt.

Nach ver.di-Angaben beinhaltet die Vorvereinbarung auch einen Rahmensozialplantarifvertrag, der die bisherigen Beschäftigten in Bremen einbezieht. Diese Basis hatte die Airline in der vergangenen Woche geschlossen. Gewerkschafter sahen darin eine Retourkutsche und bloße Schikane des Managements gegen die gut organisierte und kampfbereite Belegschaft. Von der Schließung betroffen sind rund 90 Beschäftigte. Mit einem Sozialplan werden in der Regel die Folgen von Arbeitsplatzverlust für die Betroffenen abgefedert.

Nach fast einjährigen Verhandlungen bringe die Vorvereinbarung für die Beschäftigten einen Schritt in Richtung Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und Einkommen, heißt es bei ver.di. »Erstmals könnten Absicherungen bei Versetzungen, Abfindungen und Wiedereinstellungen sozialplanmäßig geregelt werden«, so die Gewerkschaft. Damit dürften die von der Bremer Schließung Betroffenen bei einer Wiedereröffnung der Basis unter Umständen auf Wiedereinstellung hoffen.

Das Verhandlungsergebnis wird derzeit noch intensiv mit den Gewerkschaftsmitgliedern diskutiert, die in einer Befragung über Annahme oder Ablehnung des Papiers abstimmen können. Das letzte Wort hat dann die zuständige ver.di-Tarifkommission, die am kommenden Dienstag in Berlin tagt.

Doch O’Leary wäre nicht O’Leary, wenn die Vorvereinbarung nicht doch einige gewaltige Lücken und auch einen Haken hätte. Es sei »nach wie vor problematisch, dass Ryanair keine Betriebsräte zulässt«, bemängelt ver.di-Sekretärin Katharina Wesenick auf nd-Anfrage. Jetzt sei die Politik in der Verantwortung, neue Regelungen für die gesamte Branche zu treffen. Die Erwartungen richten sich an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Er soll noch vor Jahresende die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen, dass fliegendes Personal notfalls auch gegen den Willen des Arbeitgebers einen Betriebsrat gründen kann. Konkret geht es um eine Neufassung von § 117 (2) des Betriebsverfassungsgesetzes. Darin heißt es: »Für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen kann durch Tarifvertrag eine Vertretung errichtet werden.« Diese Formulierung erlaubt es Unternehmen wie Ryanair bislang, durch Verweigerung eines entsprechenden Tarifvertrags eine Betriebsratsgründung zu verhindern. »Wenn das Gesetz geändert ist, dann wählen wir sofort einen starken Betriebsrat«, kündigt Wesenick an.

Viele der Beschäftigten, die in den vergangenen Wochen gestreikt haben und jetzt in den Genuss des Tarifvertragswerks kommen sollen, sind junge Frauen und Männer aus krisengeschüttelten südeuropäischen Ländern. Sie haben oftmals Universitätsabschlüsse und finden in ihren Herkunftsländern keinen angemessenen Arbeitsplatz. Die meisten von ihnen sind nicht einmal direkt bei Ryanair beschäftigt, sondern über Leiharbeitsfirmen eingesetzt. Und weil nicht alle von ihnen die deutsche Sprache beherrschen, gibt ver.di die relevanten Tarifinformationen auch auf Englisch heraus.

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