Mit geballter Männlichkeit nach Brüssel

Frauen oder inhaltliche Kompetenzen spielten beim AfD-Parteitag zur Europawahl bestenfalls eine Nebenrolle

  • Robert D. Meyer, Magdeburg
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein »Fest der Demokratie« sei es, was Magdeburg gerade erlebt, erklärte ein Listenkandidat am späten Samstagabend auf dem AfD-Parteitag in einer Messehalle der Elbestadt. Unfreiwillig klingen seine Worte wie Galgenhumor. Mehr als 12 Stunden dauert dieser zweite von insgesamt vier veranschlagten Tagen dieser Europawahlversammlung bereits. Der Mann, der am Ende eines langen Tages um das Wohlwollen der knapp 600 Delegierten warb, kandidierte nicht etwa für einen aussichtslosen hinteren Listenplatz. Es ging um Platz neun, eine Position, bei der eine reale Chance besteht, Ende Mai nächsten Jahres Abgeordneter in Brüssel zu werden.

Gerade einmal sechs Listenplätze wählten die Delegierten an diesem Tag. Der Zeitplan? Eine einzige Katastrophe angesichts der Tatsache, dass die AfD bis einschließlich Montag insgesamt 40 Bewerber aufstellen will. Für eine demokratische Entscheidung, die andere Parteien innerhalb von zweieinhalb Tagen meistern und obendrein noch ein Wahlprogramm beschließen, braucht die Rechtsaußenpartei deutlich länger. Um den Rahmen nicht völlig zu sprengen, lagerte man die Debatte über das Europawahlprogramm gleich auf einen zweiten Parteitag Mitte Januar im sächsischen Riesa aus.

Im Zuge dieses Wahlmarathons dürften da einigen Delegierten die Worte von AfD-Chef Alexander Gauland in den Ohren nachgehallt haben. Dieser mahnte in seiner Eröffnungsrede, die Partei brauche »kompetentes Personal« bei der Europawahl, um anschließend »seriöse Oppositionsarbeit« leisten zu können. Beim EU-Parlament handle es sich um keinen Versorgungsposten, so der 77-Jährige.

Doch weil bei früheren Parteitagen schon mancher politisch völlig unerfahrene Kandidat es nicht nur auf die Liste, sondern gleich in ein Parlament schaffte, versuchten es auch dieses Mal etliche Glücksritter. Sie zogen damit zwar das Prozedere in die Länge, scheiterten dann aber mit einstelligen Ergebnissen. Mittlerweile sind aussichtsreiche Kandidaturen auch in der AfD das Ergebnis wahltaktischer Bündnisse, einer gewissen Bekanntheit und des richtigen Timings.

Dass Parteichef Jörg Meuthen als momentan einzig verbliebener AfD-Abgeordneter im Europaparlament Spitzenkandidat werden würde, galt als sicher. Dass er über 90 Prozent der Delegierten überzeugte, war angesichts der Tatsache, dass seine Wiederwahl zum Parteichef vor einem Jahr mit 72 Prozent deutlich schlechter ausfiel, dagegen überraschend. Zum Hauptgegner der anstehenden Europawahl erklärte er die Grünen, deren Politik »vaterlandszersetzend« sei. Parteichef Robert Habecks Kritik an einem »Europa der Vaterländer« sei Ausdruck für ein »links-rot-grün verseuchtes 68er-Deutschland.«

Dass Meuthen sich auf die derzeit im Umfragehoch befindliche Ökopartei einschoss, während er alle anderen praktisch unerwähnt ließ, dürfte damit zu tun haben, dass sich die Grünen ihrerseits auf ihrem Wahlparteitag vor einer Woche als Gegenentwurf zur AfD positionierten. Klare Feindbilder sind Teil der Strategie der Rechtsaußenpartei. In Zukunft sollen ebenso als Teil des rechten Plans gefestigte Bündnisse mit anderen radikal rechten Parteien Europas stehen. Meuthen warb dafür, die Rechten im EU-Parlament möglichst in einer gemeinsamen Fraktion zu einen. Bisher verteilen diese sich auf drei. Der AfD-Chef erklärte, dazu führe er Gespräche, ging aber nicht ins Detail. Einzig durchblicken ließ er, dass die österreichische FPÖ, die italienische Lega sowie der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán »natürliche Verbündete« seien.

Dass in dieser Aufzählung die Rassemblement National, die frühere Front National, fehlt, dürfte Guido Reil ärgern. In der Partei von Marine Le Pen sieht der AfD-Politiker aus Nordrhein-Westfalen ein großes Vorbild, da es sich um »reine Sozialisten« handele, was der »Weg der Zukunft« sei. Schließlich könne man »national und sozial« eingestellt sein, wie er einmal in einem Interview behauptete.

Reil inszenierte sich gezielt als Gegenentwurf zum Spitzenkandidaten, dem Wirtschaftsprofessor Meuthen. Bergarbeiter, 26 Jahre SPD-Mitglied, bescheidene Englischkenntnisse. Geschickt kokettierte der 48-Jährige mit seiner Biografie: »Ich habe mich hochgearbeitet, in 1500 Metern Tiefe, vom einfachen Bergmann zum Steiger«, warb er für sich. Dass ein Arbeiter Listenplatz zwei erobern könnte, schien vielen Delegierten zunächst aber nicht ganz geheuer. Nach seiner Drohung, er werde der »Alptraum für die Arbeiterverräter« von der SPD sein, reichte es für Reil in einer Stichwahl.

Als Nicht-Akademiker blieb er damit unter den vorderen Listenplätzen fast genauso eine Ausnahme wie eine Frau. Dass die Partei keine quotierte Wahl abhalten würde, war klar. Dass die ersten sieben Ränge allesamt an Männer gingen, spricht für sich. Reale Wahlchancen besaß, wer sich lautstark über die Europäische Union beschwerte, die wiederholt in Anspielung an die Sowjetunion als »EUSSR« bezeichnet wurde, oder sich gekonnt mit gezielten Spitzen über die populären Kernthemen Islam und Geflüchtete ausließ. Wer sich offen rassistisch äußerte, punktete ebenfalls. »Der Afrikaner schnackselt halt gern. Um das zu verhindern, müsste man ihn schon von den Frauen trennen, was kaum möglich ist«, so etwa Bernhard Zimniok. Mit dieser Äußerung kam er auf Listenplatz fünf. Sachbezogene Kompetenzen? Interessierten bestenfalls als Randnotiz. Und wenn schon Geschlechtergerechtigkeit der AfD völlig egal war, achtete man immerhin auf den Regionalproporz. Platz drei ging an das frühere CDU-Mitglied Maximilian Krah aus Sachsen. Er behauptete, seine Wahl ins EU-Parlament könne der AfD helfen, bei der Landtagswahl im Freistaat nächstes Jahr stärkste Kraft zu werden.

Keine offizielle Rolle spielte auf dem Parteitag der Spendenskandal rund um Alice Weidel. Die AfD-Fraktionschefin im Bundestag machte sich in Magdeburg rar, ließ sich am Sonnabend gleich gar nicht blicken. Ihr dürfte es gereicht haben, dass der Bundesvorstand am Freitag in einer Erklärung betonte, ihr sei »keinerlei Verschulden« vorzuwerfen. Bereits in der am heutigen Montag anstehenden Sitzung der Bundestagsfraktion dürfte der Wind für Weidel aber deutlich rauer wehen.

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