Auch bei der Rente im Nachteil

Ärmere Menschen haben über alle Lebensalter eher mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Gesundheit und Lebenserwartung hängen von den Genen und vom Lebenswandel ab - und auch die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen spielt dabei eine Rolle. So weit, so vorstellbar und auch schon nachgewiesen. Den größten Einfluss auf die Unterschiede in der Lebensdauer hat die soziale und wirtschaftliche Lage der Individuen. Das sind genau die zehn Jahre, die etwa in Deutschland reichere Menschen länger leben als ärmere. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina lud am Dienstag zu einem Symposium ein, bei dem Wissenschaftler aus Deutschland, den Niederlanden und Frankreich neuere Forschungsergebnisse aus diesem Themenfeld diskutierten.

Aktuelle Dringlichkeit besitzt die Entwicklung der Lebenserwartung nicht nur für Wissenschaftler dadurch, dass die Bundesrepublik aktuell bei diesem Wert innerhalb der OECD-Staaten recht weit ans Ende der Skala gerückt ist. So können Männer hierzulande nach Daten, die im britischen Medizinjournal »Lancet« zusammengefasst wurden, mit einer Lebenserwartung von 78,3 Jahren rechnen, Frauen mit 83 Jahren. Männer in der Schweiz leben im Durchschnitt vier Jahre, Frauen drei Jahre länger.

Auf eine verbesserte Datenlage zu den letzten zehn bis 15 Jahren weist der Soziologe Thomas Lampert hin, der am Robert-Koch-Institut (RKI) eine Fachgruppe für soziale Determinanten von Gesundheit leitet. »Die Weichen werden sehr früh gestellt«, so Lampert unter Verweis auf KiGGS. Die RKI-Langzeitstudie erfasst die gesundheitliche Lage von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. So rauchen 28 Prozent der Schwangeren mit niedrigem sozialen Status, aber nur zwei Prozent der werdenden Mütter mit einem hohem sozialen Status. Lampert schränkt zwar ein, dass in Deutschland die meisten Kinder gesund aufwachsen, wenn auch ungesundes Essen, weniger Sport und frühes Rauchen in ökonomisch schwachen Familien häufiger zu finden sind. Schützend für die Gesundheit der Kinder ist vermutlich die Unterstützung, die sie in ihren Familien erhalten. Jedoch gibt es genügend Hinweise, dass das soziale Gefälle über die Lebensphasen weitere Wirkung entfaltet. Im jungen Erwachsenenalter haben mehr Ärmere bereits deutliches Übergewicht und rauchen häufiger. Chronischer Stress und depressive Symptome treten häufiger auf als bei den besser Gestellten. Im mittleren Erwachsenenalter zwischen 30 und 64 Jahren ist etwa das Diabetes-Risiko der benachteiligten Frauen viermal höher als bei den am besten situierten, aber schon doppelt so hoch gegenüber der mittleren Gruppe. Dann jedoch verringern sich im höheren Alter die Unterschiede wieder, biologische Faktoren werden wichtiger. Lampert weist jedoch darauf hin, dass zum Beispiel 27 Prozent der Männer mit Armutsrisiko das 65. Lebensjahr gar nicht erreichen, von den wohlhabenderen sterben »nur« 13 Prozent früher.

Auch die Verteilung von Lebenserwartung und sozialen Faktoren über ganz Deutschland spricht eine deutliche Sprache. Laut RKI gibt es ein deutliches Nordost-Südwest-Gefälle. Die höchste Lebenserwartung, aber auch die besten Ergebnisse bei Arbeit, Bildung und Einkommen finden sich in Bayern und Baden-Württemberg, entsprechend schlecht schneiden Mecklenburg-Vorpommern und angrenzende Kreise weiter südlich ab.

Jedoch haben diese Befunde auch Auswirkungen, die bislang kaum bedacht oder gar problematisiert wurden. So konnte Peter Haan vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) nachweisen, dass insbesondere die Männer mit einem geringeren Lebenseinkommen - abgeleitet aus Daten der Rentenversicherung - mit ihren regulären Einzahlungen ein schlechtes Geschäft machen. Im deutschen Umlageverfahren erhalten eben die mehr, die länger leben. Das wird zu einem wachsenden Gerechtigkeitsproblem, weil die Lebenserwartung derjenigen, die mehr Rente erwarten, schneller steigt als die der übrigen Personen.

Eine weitere brisante Frage warf der niederländische Epidemiologe Johan Mackenbach auf. Ihn bewegt, warum die gesundheitliche Ungleichheit in Europa so beständig ist. Selbst in den großzügigen skandinavischen Wohlfahrtsstaaten bleiben soziale Unterschiede bei der Sterblichkeit und beim Erkrankungsrisiko bestehen. So treten etwa alkoholbezogene Krankheiten, Lungenkrebs, Lungenentzündung und Suizid auch in dieser Region deutlich häufiger bei weniger gebildeten Menschen auf.

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