Macron bleibt Zielscheibe der Gelbwesten
Frankreich erlebte fünftes Protest-Wochenende in Folge - mit alten und neuen Forderungen
Wieviele Franzosen tatsächlich mit ihrem inzwischen weltbekannten Markenzeichen am Sonn-abend auf den Straßen demonstrierten, steht dahin. Die Polizei zählte laut dpa 66 000 Gelbwesten landesweit und nannte 69 000 aufgebotene Ordnungshüter. Ob es daran lag, dass diesmal kaum von Brandstiftungen oder Vandalismus berichtet wurde? In Paris, so war zu sehen, blieben diesmal Eiffelturm und Louvre geöffnet, nur die Champs-Élysées wurden von der Polizei einmal mehr in Tränengas getaucht.
Auch Verhaftungen gab es, aber deutlich weniger als 200. Am vergangenen Wochenende waren es noch über 2000. Was sich dagegen nicht geändert hat beim nunmehr fünften Protest-Wochenende in Folge: Hauptzielscheibe ist weiterhin der Präsident der Republik. Die Losung »Macron, tritt zurück!« dominierte trotz der Versprechungen des Staatschefs vergangene Woche im Fernsehen.
Zunehmend taucht aber die Abkürzung »RIC« als Forderung auf. Das ist die Abkürzung für »Référendum d'initiative citoyenne« und bedeutet soviel wie Volksinitiative oder Bürgerreferendum. Es ist wohl Protest gegen den vormundschaftlichen Staat, aktuell besonders verkörpert in der Person Emmanuel Macrons, der nach scharfen Protesten gnädig ein paar Wohltaten verkündet, sich ansonsten aber sichtbar in einer gewissen Kontinuität zum Sonnenkönig versteht. Gefordert werden daher von vielen Gelbwesten neben Umverteilung und einer gerechteren Steuerpolitik demokratische Reformen wie die Einführung von Referenden oder die Einrichtung einer Bürgerversammlung.
In München gab es am Sonnabend die erste größere Solidaritätskundgebung für die französischen Gelbwesten in Deutschland - mit »Vive la France« und »Vive la révolution« auf gelben Westen. Die Nachrichtenagentur dpa nannte rund 200 Teilnehmer aus ganz Bayern. Zuspruch gab es vom Vorsitzenden der LINKEN Bernd Riexinger. In den »Stuttgarter Nachrichten« warb er zudem für Demonstrationen gegen die Politik der großen Koalition nach französischem Vorbild auch in Deutschland.
Ablehnung schlägt Frankreichs Gelbwesten dagegen von einem einstigen Pariser Straßenkämpfer entgegen. Daniel Cohn-Bendit, 1968 noch ein Wortführer auf den Pariser Barrikaden, behauptete im Berliner »Tagesspiegel«, die Proteste würden lediglich die Rechtsextremisten stärken. Außerdem liefen die Forderungen der Gelbwesten nach Referenden auf eine »Aufhebung der parlamentarischen Demokratie« hinaus. Dagegen lobte Cohn-Bendit, von 1994 bis 2014 für die Grünen im Europaparlament, Macron, dessen Präsidentschaftskandidatur er bereits unterstützt hatte.
Zu differenzierteren Einschätzungen zu den Gelbwesten kommt die Politikwissenschaftlerin Tinette Schnatterer vom Centre Émile Durkheim Sciences Po in Bordeaux im nd-Interview, die die Bewegung eher links als rechts verortet. Seiten 5 und 8
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