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  • Ausstieg aus der Steinkohle

Hüttenvertrag und Kohlepfennig

Der Ausstieg aus der Steinkohle wurde politisch gesteuert und abgefedert - daraus lässt sich lernen

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit der Schließung des letzten Bergwerks in Bottrop wird an diesem Freitag der Schlussstrich unter eine Jahrhunderte alte Tradition gezogen. Steinkohle aus dem Ruhrgebiet und dem Saarland war lange zentraler Energieträger für Kraftwerke, Schwerindustrie, Eisenbahn und Heizung. Gerade das von Kohle und Stahl geprägte Ruhrgebiet boomte und zog Arbeitssuchende aus allen Himmelsrichtungen an. Sie leisteten unter Tage Knochenarbeit, hatten einen hohen Organisationsgrad und errangen Zugeständnisse.

1956 produzierten an der Ruhr knapp 500 000 Bergleute rund 125 Millionen Tonnen Steinkohle. Statt der geforderten Sozialisierung bekamen sie per »Montanmitbestimmung« eine formale Parität in den Aufsichtsräten, was das Ko-Management von Betriebsräten und Gewerkschaftsführern beflügelte. Auch Sozialeinrichtungen, Werkswohnungen in Zechensiedlungen und kostenfreie Deputatkohle für die private Heizung hielten die Kumpel bei der Stange. Auch im Saarland und im Ibbenbürener Revier im Tecklenburger Land florierte der Bergbau.

Schon in den frühen 1960er Jahren war die Krise der Steinkohle unübersehbar. Öl und Gas liefen ihr allmählich den Rang ab. Während der gen Norden ziehende Ruhrbergbau immer tiefer graben musste, um die Kohleflöze zu erreichen, drängte billigere Importkohle aus Tagebaurevieren in aller Welt nach Deutschland. So griff ein Zechensterben um sich, das für die Kumpel dramatische Arbeitsplatzverluste nach sich zog. 1970 gab es nur noch etwas mehr als eine viertel Million Stellen. 1994 sank die Zahl der Arbeitsplätze erstmals unter 100 0000.

Anfangs kamen viele ehemalige Bergarbeiter in Stahlwerken oder im neuen Bochumer Opelwerk unter. Doch mit dem Konjunkturabschwung 1966 wuchsen die Existenzängste der Bergleute. Sie setzten auf Gegenwehr. Bei einer Urabstimmung der IG Bergbau und Energie (IGBE) befürworteten 90 Prozent einen Streik für Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzung. »Wenn es an der Ruhr brennt, gibt es im Rhein bei Bonn nicht genug Wasser, das Feuer zu löschen«, prophezeite der damalige Unionsfraktionschef im Bundestag, Rainer Barzel. Ein Streik wurde nach hastigen Zugeständnissen der Unternehmer in letzter Sekunde abgeblasen. Doch die Proteste gingen weiter. »Bei den Demonstrationen hatte man den Eindruck, man sitzt auf einem Pulverfass«, erinnert sich der »WAZ«-Lokalredakteur Thomas Rother. »Man hatte den Eindruck, jetzt passiert was.«

Was passierte, waren Regierungswechsel im Bund und in Nordrhein-Westfalen, wo die SPD 1966 in die Kabinette einzog. Doch das Zechensterben ging weiter und radikalisierte die Arbeiter. Zehntausende demonstrierten gegen fortlaufende Schließungen. In dieser Lage stellte sich Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) an die Spitze der erbitterten Grubenarbeiter und gegen die Kohlemanager. Unter seiner Regie wurden das Zechensterben zeitlich gestreckt und der Niedergang öffentlich subventioniert abgefedert.

1968 entstand ein neuer Konzern: die Ruhrkohle AG (RAG). Er umfasste zu Beginn 80 Prozent der Steinkohleproduktion in 52 Zechen mit rund 200 000 Beschäftigten. Mit Hilfe einer staatlichen Bürgschaft von 2,1 Milliarden D-Mark ließen die alten Bergwerkseigentümer ihren Besitz in die RAG einfließen und wurden einen Großteil ihrer Schulden los. Der 1969 mit den Stahlkonzernen vereinbarte »Hüttenvertrag« sicherte einen wichtigen Teil des Kohleabsatzes. 1975 wurde der »Kohlepfennig« als Zuschlag auf den Stromtarif eingeführt, mit dem die Verbraucher bis 1995 die Steinkohle subventionierten.

SPD und Gewerkschaft achteten darauf, dass eine soziale Explosion ausblieb. Während jüngere Facharbeiter anderswo neu anfingen, konnten Ältere früher in Rente gehen. Ihnen ist ein Paragraf im Sozialgesetzbuch mit dem Titel »Rente für Bergleute« gewidmet. »Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Anspruch auf Rente für Bergleute, wenn sie das 50. Lebensjahr vollendet haben und die Wartezeit von 25 Jahren erfüllt haben«, so der Kernsatz. Allerdings gilt all dies nur für die Stammbeschäftigten und nicht für die Zulieferbranche und das vom Bergbau abhängige lokale Gewerbe. Christian Woltering vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in NRW beklagte dieser Tage eine wachsende Armutsgefährdung an der Ruhr und forderte mehr Investitionen für die Region. Die Bergbaulöhne seien noch auskömmlich gewesen, während viele neu geschaffene Stellen vor Ort nicht mehr zum Lebensunterhalt reichten, so Woltering.

Über Jahrzehnte wurden die staatlichen Kohlesubventionen und Kapazitäten der Branche planmäßig abgebaut. Während zunächst von »nationaler Versorgungssicherheit« und einem »Mindestsockel« heimischer Steinkohle die Rede war, wurden 2007 endgültig die Weichen für das Ende des Steinkohlebergbaus im Jahr 2018 gestellt. Wo immer Politiker den Abbau beschleunigen wollten, zeigten die Kumpel noch einmal Stärke und Selbstbewusstsein. Ihr letztes Aufbäumen fand 1997 statt, als die damalige Regierung Kohl die Kohlesubventionen plötzlich drastisch kürzen wollte. Tausende wütende Bergarbeiter von Ruhr und Saar belagerten tagelang das Bonner Regierungsviertel. Führende Köpfe von IGBE, SPD und Grünen beschwichtigten die aufgebrachten Männer und bewegten sie zur Heimkehr. Der Abbau wurde gestreckt.

Wenig später ging die IGBE in der neuen IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) auf, was ein weiterer Hinweis auf den Bedeutungsverlust des Bergbaus war. Als die EU-Kommission 2010 den deutschen Steinkohleausstieg von 2018 auf 2014 vorziehen wollte, brachen noch einmal deutsche Bergarbeiter in großer Zahl nach Brüssel auf. Es blieb beim Ausstiegsdatum 2018. Im Saarland war allerdings schon 2012 Schluss.

Aus den Erfahrungen beim Steinkohleausstieg lässt sich auch für den Ausstieg aus der Braunkohle im Osten lernen. Oder wie die Thüringer LINKE-Politikerin Johanna Scheringer-Wright betont: »Es muss einen Plan geben, um die in der Kohle Arbeitenden in neue existenzsichernde Arbeitsverhältnisse oder bei gegebenem Alter in abschlagsfreien Rentenbezug zu überführen.«

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