Den Wagen, sofort!

Vor 50 Jahren erfand Herbert Reinecker die TV-Serie »Der Kommissar«

  • von Sabine Göttel und Olaf Neumann
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein falsches Zitat wurde Kult: Nicht mit dem jovialen »Harry, hol schon mal den Wagen!« beorderte Kriminalinspektor Derrick seinen Mitarbeiter Klein vor die Tür. Tatsächlich hieß es in der zweiten Folge der Serie unmissverständlich: »Harry, wir brauchen den Wagen, sofort!«

Freunde großer Worte sind sie jedenfalls nicht, die populären Ermittlerfiguren des Journalisten und Drehbuchautors Herbert Reinecker. Sowohl Stephan Derrick als auch der vornamenlose »Kommissar« Keller sind Männer, die sich zwar durch Korrektheit und Pflichterfüllung auszeichnen, denen man aber durchaus ein dunkles Geheimnis zutraut. Wie ihr literarisches Vorbild, Georges Simenons Kommissar Maigret, ist eine unerschütterliche Ruhe auch in kritischen Situationen ihr Markenzeichen. Den Anfechtungen ihres Berufs und des Menschseins im Allgemeinen begegnen sie mit einer melancholischen Grundstimmung. Während sie ihre Zeugen ausgestellt wortkarg, doch hintergründig befragen, umweht ein Hauch von Einsamkeit den Maßanzug und die perfekt geknotete Krawatte. Auch die spärlich gestreuten Informationen über ihr Privatleben verführen zu der Spekulation, es habe in ihrer Vergangenheit etwas gegeben, an dem sie heute noch zu knabbern haben.

Ist es die Aura der Unergründlichkeit, die den Ermittlern - kongenial verkörpert von den Schauspielern Horst Tappert und Erik Ode - im In- und Ausland zu solcher Beliebtheit verhalfen? »Derrick«, produziert in den Jahren 1973 bis 1997 in 281 Episoden, wurde mit großem Erfolg in über 100 Länder verkauft. »Der Kommissar« flimmerte zwischen dem 3. Januar 1969 und dem 30. Januar 1976 in 97 Folgen mit bis zu 30 Millionen Zuschauern und traumhaften Einschaltquoten von bis zu 70 Prozent über die deutschen Bildschirme. Dabei dürften auf Spannung erpichte Fernsehzuschauer eigentlich keine Fans der Serien gewesen sein. Die Handlung schleppte sich meist ohne große Höhepunkte dahin, die Dialoge wirkten künstlich, die Routine in realen Kommissariaten war ausgeblendet. Insgesamt wurde auf allzu konkrete Bezüge zu aktuellen Ereignissen verzichtet. Drehbuchautor und Zuschauer trafen sich im Lamento über die Schlechtigkeit der Welt und die moralischen Abgründe des Menschen - und in der Übereinkunft, den Fernsehsessel nicht unbedingt verlassen und tätig werden zu müssen.

Herbert Reinecker verstand es wie seine Serien-Alter-Egos meisterhaft, den Finger nicht in die Wunde zu legen, Verletzungen aber schweigend spürbar zu machen. Eine wohl typisch deutsche Biografie, gerade auch im Negativen: Reinecker, geboren am 24. Dezember 1914 in Hagen, war bereits als Schüler ein talentierter Schreiber, als das »Dritte Reich« dem Abiturienten eine Karriere als Journalist eröffnete: Er wurde Chefredakteur der HJ-Jugendzeitungen »Unsere Fahne«, »Jungvolk«, »Der Pimpf« und »Junge Welt«. Im Krieg war Reinecker dann Kriegsberichterstatter bei der Waffen-SS in Norwegen, Flandern und der Normandie und schrieb gleichzeitig propagandistische Bühnenstücke mit Titeln wie »Die Stunde des Triumphes«. Der antisowjetische Hetzstreifen »Das Dorf bei Odessa« gehörte zu den erfolgreichsten Stücken in der Nazizeit. Auch als Drehbuchautor debütierte Reinecker bereits mit einem Jugendpropagandafilm.

Nach dem Krieg wurde ihm von den Alliierten zunächst eine Arbeitserlaubnis verweigert; in der DDR standen seine Werke später gar auf der »Liste der auszusondernden Literatur«. Er verdiente sein Geld zunächst als Journalist und Autor für Kabarettbühnen, schrieb daneben aber weiter Romane, Kurzgeschichten und Hörspiele. Als Drehbuchautor bekannt wurde er in den 1960er Jahren, als er Episoden für die populären Edgar-Wallace-Filme lieferte. Der Produzent Herbert Ringelmann schließlich vermittelte ihn ans Fernsehen. Reineckers Krimis, die er nach dem Vorbild des britischen Autors Francis Durbridge verfasste, gehörten zu den ersten Bestsellern der jungen Fernsehnation. In der Folge schrieb er die Drehbücher für etliche weitere TV-Serien und Fernsehfilme der seichten Unterhaltungsbranche, unter anderem für »Das Traumschiff«. Doch »Der Kommissar« und »Derrick« waren und blieben seine größten Erfolge.

Anders als andere bekannte Persönlichkeiten aus dem Kulturbetrieb der alten Bundesrepublik, hat Reinecker seine Zeit als Nazipropagandist, die mit dem letzten Leitartikel im SS-Hetzblatt »Das Schwarze Korps« endete, nie geleugnet. Zurückgezogen am Starnberger See lebend, konzentrierte sich der öffentlichkeitsscheue Vielschreiber (1975 etwa entstanden allein 24 Folgen für »Der Kommissar« und »Derrick«) auf die Entwicklung seiner Serienhelden. Diese hätten, wenn sie nicht stoisch über sich selbst schweigen würden, von durchaus ähnlichen Lebenswegen erzählen können.

Kommissar Keller und Stephan Derrick sind, wie der Autor selbst, Vertreter einer Generation, die sich immer noch schwertut, über das zu reden, was sie hat schuldig werden lassen. Auch die von ihnen gejagten Verbrecher glauben sich in diesem Sinne schuldlos schuldig. Schuldlos schuldig werden aber ist das Prinzip antiker Tragik. In diesem Sinne könnte man tragisch nennen, wie »Derricks« schier unendliche Erfolgsstory im April 2013 abrupt endete. Es war publik geworden, dass Hauptdarsteller Horst Tappert während des Zweiten Weltkriegs Mitglied der Waffen-SS gewesen war. Sowohl das ZDF als auch Fernsehsender in Belgien, Frankreich und den Niederlanden verzichteten daraufhin auf weitere Wiederholungen der beliebten Serie. Der Autor und sein Darsteller haben das nicht mehr erlebt. Herbert Reinecker, der zuletzt fast blind war und seine Texte diktieren musste, war am 27. Januar 2007 im Alter von 92 Jahren im bayerischen Berg gestorben.

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