Das scheue Reh ist sehr bissig

Nicolas Šustr über die Zähmung des Mietmarktes

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 2 Min.

Kapital sei wie ein scheues Reh, heißt es immer wieder, wenn sich jemand erdreistet, Beschränkungen bei der kapitalistischen Verwertung von Gütern, auf die die Allgemeinheit angewiesen ist, auferlegen zu wollen. Wie bei dem auf Landesrecht basierenden Mietendeckel, den Rot-Rot-Grün in der Hauptstadt nun ernsthaft prüfen möchte.

Nicht erwähnt wird in diesem Spruch, dass das Reh äußerst bissig ist und so schnell den Platz nicht räumen will. Die finanzpolitische Sprecherin der FDP im Berliner Abgeordnetenhaus wusste schon am Samstag, dass so eine Deckelung »nicht unmittelbar zur dauerhaften Entlastung auf dem stark umkämpften Wohnungsmarkt« beitrage. Man beachte den Kunstgriff, die Worte unmittelbar und dauerhaft in dem Satz untergebracht zu haben, die irgendwie so keinen rechten Sinn ergeben möchten. Und natürlich führe so eine Begrenzung zu »massivem Substanzverfall«.

Wenn das scheue Reh schon, wie üblich, Sozialismus wittert, kann die DDR nicht weit sein. »Tagesspiegel«-Kolumnist Harald Martenstein weiß das sofort: »Es handelt sich exakt um das Erfolgsmodell der DDR, billige Mieten bei gleichzeitigem Verfall der Städte und gleichzeitiger Wohnungsnot«, schreibt er. Da ist er auf einer Linie mit FAZ-Wirtschaftsredakteur Michael Psotta. »Solche Ideen sind Ausdruck der grundsätzlichen Ablehnung marktwirtschaftlicher Lösungen zur Linderung der Wohnungsnot«, erklärt er in einem Kommentar. Damit hat er nicht ganz unrecht, er vergisst jedoch zu erwähnen, dass gerade der Markt erwiesenermaßen das Grundrecht auf Wohnen nicht zufriedenstellend garantiert.

Eine »Stadt für Alle« kann es nur geben, wenn die rot-rot-grüne Koalition die entsprechenden Rahmenbedingungen setzt. Ohne effektive Mietenbegrenzung auf breiter Front werden die eingeleiteten Maßnahmen wie die Rekommunalisierung nur Stückwerk bleiben. Das Reh muss gezähmt werden!

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